1-14. Szene In
der Wohnung der Schauspielerin Elfriede Ritter
Die norddeutsche
Schauspielerin Elfriede Ritter, die Reporter Füchsl, Feigl (vom Extrablatt) und
Halberstam
In der Wohnung der Schauspielerin Elfriede Ritter, die
soeben aus Rußland zurückgekehrt ist. Halb ausgepackte Koffer. Die Reporter
Füchsl, Feigl und Halberstam halten ihre Arme und dringen auf sie ein.
Alle drei (durcheinander): (Wie war
Ihre Rußlandreise?!) Haben Sie Spuren von Nagaikas (der Peitsche)? Zeigen Sie her (Ihre
Verletzungen)! Wir brauchen Einzelheiten, Details. Wie war das Moskowitertum?
Haben Sie Eindrücke (aus Moskau)? Sie müssen furchtbar zu leiden gehabt haben,
hören Sie, Sie müssen!
Füchsl:
Schildern Sie, wie Sie (in Rußland) behandelt wurden wie eine Gefangene!
Feigl: Geben
Sie Eindrücke von Ihrem Aufenthalt (in Moskau) fürs Abendblatt!
Halberstam: Geben
Sie die Stimmung von der Rückfahrt (nach Wien) fürs Morgenblatt!
Elfriede Ritter (spricht
norddeutsch, lächelnd): Meine Herren, ich danke für Ihr teilnahmsvolles
Interesse, es ist wirklich rührend, daß mir meine lieben Wiener ihre Sympathien
bewahrten. Ich danke Ihnen von Herzen, daß Sie sich sogar persönlich bemüht
haben. Ich wollte ja auch gern mit Kofferauspacken warten, aber ich kann Ihnen
beim besten Willen, meine Herren, nichts anderes sagen, als daß es sehr, sehr
interessant war, daß mir gar nichts geschehen ist, na was denn noch, daß die
Rückfahrt zwar langwierig, aber nicht im mindsten beschwerlich war und (schalkhaft) daß ich mich freue, wieder in meinem lieben Wien zu sein.
Halberstam:
Intressant – also eine langwierige Fahrt, also sie gibt zu –
Feigl:
»Beschwerlich« hat sie gesagt –
Füchsl: Warten
Sie, die Einleitung hab ich in der Redaktion geschrieben – Moment –
(schreibend) »Aus den Qualen der russischen Gefangenschaft erlöst, am
Ziele der langwierigen und beschwerlichen Fahrt endlich angelangt, weinte die
Künstlerin Freudentränen bei dem Bewußtsein, wieder in ihrer geliebten
Wienerstadt zu sein – «
Elfriede Ritter (mit
dem Finger drohend): Doktorchen, Doktorchen, das habe ich nicht gesagt, im
Gegenteil, ich habe doch gesagt, daß ich mich über nichts, über gar nichts
beschweren konnte –
Füchsl: Aha!
(schreibend)
»Die Künstlerin blickt heute mit einem gewissen ironischen Gleichmut auf das
Überstandene zurück.«
Elfriede Ritter:
Ja, aber was denn – da muß ich doch sagen – nee, Doktor, ich bin
empört –
Füchsl (schreibend):
»Dann aber, wenn der
Besucher ihrer Erinnerung nachhilft, packt sie doch wieder Empörung. In
bewegten Worten schildert die Ritter, wie ihr jede Möglichkeit, sich über die
ihr zuteilgewordene Behandlung zu beschweren, genommen war.«
Elfriede Ritter:
Aber Doktor, was treiben Sie denn – ich kann doch nicht
sagen –
Füchsl: Sie kann
gar nicht sagen –
Elfriede Ritter:
Aber wirklich – ich kann doch nicht sagen –
Halberstam: Aber gehn Sie, Sie wissen gar
nicht, was man alles sagen kann! Liebe Freundin, schaun Sie her, das Publikum,
verstehn Sie, will lesen. Ich sag Ihnen, Sie können sagen. Bei uns ja, in
Rußland vielleicht nicht, hier herrscht Gottseidank Redefreiheit, nicht so wie
in Rußland, hier kann man Gottlob alles sagen, über die Zustände in Rußland!
Hat sich in Rußland eine Zeitung um Sie gekümmert? No also!
Feigl: Ritter,
sind Sie vernünftig; glauben Sie, daß Ihnen ein bißl Reklam schaden wird, jetzt
wo Sie wieder auftreten wern, no also!
Elfriede Ritter:
Aber meine Herren – ich kann doch nicht das ist doch bei den Haaren
herbeigezogen – wenn Sie es gesehn hätten – auf der Straße oder in
den Ämtern – wenn ich nur Anlaß zur geringsten Klage gehabt hätte, über
Drangsalierungen und so, glauben Sie denn, ich würde es verschweigen?
Füchsl (schreibend):
»Noch vor Erregung
zitternd, schildert die Ritter, wie der Straßenmob sie bei den Haaren gezogen
hat, wie sie auf die geringste Klage hin von den Ämtern drangsaliert wurde und
wie sie über alle diese Erlebnisse Schweigen bewahren mußte.«
Elfriede Ritter:
Aber Doktor, Sie treiben wohl Ulk? Ich sage Ihnen doch sogar, daß die
Polizeibeamten sehr entgegenkommend waren, man hat mir, wo man nur konnte,
unter die Arme gegriffen, ich durfte ausgehn, wohin ich wollte, nachhause
kommen, wann ich wollte, ich versichere Ihnen, wenn ich mich auch nur ein
Augenblickchen als Gefangene gefühlt hätte –
Füchsl (schreibend):
»Die Künstlerin
erzählt, daß ihr, als sie einmal den Versuch machte, auszugehen, augenblicklich
Polizeibeamte entgegenkamen, sie unter den Armen ergriffen und nachhause
schleppten, so daß sie buchstäblich das Leben einer Gefangenen geführt
hat – «
Elfriede Ritter:
Jetzt bin ich aber ernstlich böse – es ist nicht wahr, meine Herren, ich
protestiere –
Füchsl (schreibend):
»Sie wird ganz böse,
wenn man ihre Erinnerung, an diese Erlebnisse, an ihre aussichtslosen Proteste –
«
Elfriede Ritter:
Es ist nicht wahr, meine Herren!
Füchsl (aufblickend):
Nicht – wahr? Was heißt nicht wahr, wo ich jedes Wort von Ihnen
mitschreib?
Feigl: Wenn wir
bringen wollen, is es nicht wahr?
Halberstam: Wissen
Sie, das is mir noch nicht vorgekommen. Das is intressant!
Feigl: Sie is
imstand und schickt noch eine Berichtigung!
Füchsl: Sie
machen Sie keine Geschichten, das kann Ihnen schaden!
Feigl: Machen
Sie sich nicht unglücklich!
Halberstam: Wann hat
sie denn wieder eine Rolle?
Füchsl: Wenn ich das Samstag beim
Repertoire dem Direktor erzähl, kriegt die Berger das Gretchen, das garantier
ich Ihnen!
Feigl: Das is
also der Dank, wo der Fuchs Sie immer so gut behandelt hat? Sie, Sie kennen den
Fuchs nicht! Wenn er hören wird, passen Sie auf, bei der nächsten Premier!
Halberstam: Wolf hat
sowieso einen Pick auf Sie, seit Sie damals in seinem Stück gespielt haben, das
kann ich Ihnen verraten, Wolf is ohnedem sehr gegen Rußland, wenn er jetzt noch
hören wird, daß Sie sich über Rußland nicht zu beklagen haben – er
verreißt Sie auf der Stelle!
Füchsl:
Kunststück, und Löw? Fangen Sie sich nichts mit Löw an, eine Schauspielerin hat
sich anzupassen, da gibts nix!
Feigl: Dagegen
kann ich Ihnen verraten, möchte es Ihnen kolossal nützen, nicht nur beim
Publikum, sondern sogar bei der Presse selbst, wenn Sie in Rußland mißhandelt
wurden.
Halberstam: Überlegen
Sie sich das. Sie kommen aus Berlin und haben sich rasch in die hiesigen
Verhältnisse eingelebt. Hier is es Ihnen immer gut gegangen, mit offenen Armen
hat man –
Füchsl: Ich kann Ihnen nur sagen, mit
solchen Dingen is nicht zu spassen. Eine Person soll in Rußland gewesen sein und nichts zu
erzählen haben von ausgestandene Leiden, lächerlich, eine erstklassige
Künstlerin! Ich sag Ihnen, es handelt sich um Ihre Existenz!
Elfriede Ritter (händeringend): Aber –
aber – aber – Herr Redakteur – ich hab ja – geglaubt
– lieber Doktor – bitte bitte lieber Doktor – ich hab ja nur – die Wahrheit sagen
wollen – entschuldigen Sie – bitte bitte sehr –
Feigl (wütend):
Die Wahrheit nennen Sie das? Und wir lügen also?
Elfriede Ritter: Das heißt – Pardon –
ich hab nämlich – geglaubt, es sei die Wahrheit – wenn Sie aber
– meine Herren, glauben – daß es – nicht die Wahrheit ist
– Sie sind ja Redakteure – Sie – müssen ja – das
– besser verstehn. Wissen Sie – ich als Frau hab ja auch gar nicht
mal so den rechten – Überblick, nich wahr? Mein Gott – Sie verstehn
– es ist doch Krieg – unsereins ist so verschüchtert – man
ist so froh, wenn man nur mit heiler Haut aus Feindesland –
Halberstam: No sehn
Sie, wenn Sie sich erinnern nach und nach –
Elfriede Ritter:
Ach Doktorchen natürlich. Wissen Sie, die erste freudige Aufwallung, wieder in
eurem geliebten Wien zu sein – man sieht dann alles rosiger, was man
überstanden hat, für'n Momentchen nur, versteht sich – dann aber –
faßt einen wieder Wut und Erbitterung –
Halberstam: No also,
sehn Sie, wir haben vorn ersten Moment gewußt, Sie wern –
Füchsl (schreibt):
»Wut und Erbitterung faßt noch heute die Künstlerin, wenn
sie der ausgestandenen Martern gedenkt und sobald die erste freudige
Aufwallung, wieder in der Metropole zu sein, den bösen Erinnerungen Platz
gemacht hat – «
(sich zu ihr wendend) No, is das jetzt wahr?
Elfriede Ritter:
Ja, meine Herren, das ist die Wahrheit wissen Sie, ich war noch so unter dem
Eindruck – man ist so eingeschüchtert, so –
Füchsl: Warten
Sie –
(schreibend) »Noch ganz verschüchtert, wagt sie es nicht
davon zu sprechen. Im Lande der Freiheit erliegt sie noch immer zeitweise der
Suggestion, in Rußland zu sein, dort, wo sie den Verzicht auf die Rechte der
Persönlichkeit, freie Meinung und freie Rede, so schimpflich fühlen mußte.«
(Sich zu ihr wendend) No, ist das jetzt wahr?
Elfriede Ritter:
Nee, Doktor, wie Sie die geheimsten Empfindungen-
Füchsl: No sehn
Sie!
Halberstam: No also,
sie gibt zu, sie hat gelitten –
Feigl: Sie hat
ausgestanden!
Füchsl: Was
heißt ausgestanden? Wahre Martern hat sie durchgemacht!
Halberstam: Also was
brauchen wir da weiter, gehn wir, wir sind doch nicht zu unserm Vergnügen
da –
Füchsl:
Selbstredend, den Schluß mach ich in der Redaktion. Also – eine
Berichtigung haben wir nicht zu befürchten? Das hätte noch gefehlt!
Elfriede Ritter:
Aber Doktor! – Na, charmant war's, daß Sie mich besucht haben. Kommt doch
bald wieder – Adieu, adieu. (Hinausrufend) Grete! Gre – te!
Feigl: Sie is
wirklich eine vernünftige Person. Grüß Ihnen Gott, Freilein. (Im Abgehn zu
den andern) Sie hat das Ärgste überstanden und sie hat nicht den Mut es
jemandem zu sagen – nebbich!
(Elfriede
Ritter sinkt auf einen Stuhl und erhebt sich dann, um den Koffer auszupacken.
Elfriede Ritter (singt das »Couplet der Schwarzdrucker« - »Presse-Couplet«:)
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1
Im Anfang war die Presse
und dann erschien die
Welt.
Im eigenen Interesse
hat sie sich ihr gesellt.
Nach ihrer Vorbereitung
sieht Gott, daß es
gelingt,
und so die Welt zur
Zeitung
er bringt.
2
Die Welt war es
zufrieden,
die auf die Presse kam,
weil schließlich doch
hienieden
Notiz man von ihr nahm.
Auch was sich nicht ereignet,
zu ihrer Kenntnis dringt;
wenns nur fürs Blatt
geeignet –
man bringt.
3
Wenn auch das Blatt die
Laus hat,
die Leser gehn nicht aus;
denn was man schwarz auf
weiß hat,
trägt man getrost
nachhaus.
Was sie der Welt auch
rauben,
sie bringt doch unbedingt
dafür doch ihren Glauben;
sie bringt.
4
Sie lesen, was
erschienen,
sie denken, was man
meint.
Noch mehr läßt sich
verdienen,
wenn etwas nicht erscheint.
Sie schweigen oder
schreiben,
ob jener auch zerspringt
–
wenn ihnen nur ihr Treiben
was bringt.
5
Die Welt, soweit sie
lebend,
singt ihre Melodie.
Sie bleiben tonangebend
von aller Gottesfrüh.
Nach ihren notigen Noten
die Menschheit tanzt und
hinkt,
weil Dank sie für die
Toten
ihnen bringt!
6
Die Zeit lernt davon
Mores,
der Geist ist dort zur
Hand,
denn als Kulturfaktores
sind sie der Welt
bekannt.
Kommt her, Gelehrte,
Denker,
komm, was da sagt und
singt,
daß hoch hinauf der
Henker
euch bringt!
7
Sie bringen, dringen,
schlingen
sich in das Leben ein.
Wo sie den Wert
bezwingen,
erschaffen sie den
Schein.
Schwarz ist's wie in der
Hölle,
die auch von Schwefel
stinkt,
wohin an Teufels Stelle
man bringt!
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