1-23. Szene Am
Janower Teich
Schriftsteller und Feuilletonist der Neuen Freien Presse Ludwig
Ganghofer, Flügeladjutant, Kaiser Wilhelm II. / Ordonnanz, Gefolge,
Photograph der »Woche«
Ganghofer tritt jodelnd
auf. Er trägt Lodenjoppe, Smokinggilet, Kniehose, Rucksack und Bergstock,
eisernes Kreuz erster Klasse; unter dem Hut mit Gamsbart ist ein blonder, ein
wenig angegrauter Haarschopf sichtbar. Auf der etwas gebogenen Nase sitzt ein
goldener Zwicker.
Ganghofer (tritt jodelnd auf):
Hollodriohdrioh, Jetzt bin ich an der Front,
Hollodriohdrioh, Dös bin i schon gewohnt.
Bin ein Naturbursch, wie Man selten einen findt,
Leider schon zu alt
Zum Soldatenkind.
Z'wegn dem stell ich noch immer
Allweil meinen
Mann.
Hab in Wean beim (Moritz) Szeps gedient,
Sehn S' mich
nur an.
I hab ein Jagagmüat
Holldrioh, dös is wie
echt
Und bekanntlich
schreib ich
Gar net schlecht.
Als Schmock in Wean, da war
Zu groß die
Konkurrenz,
Da bin ich schon verkracht
Im Lebenslenz.
Ins Lodengwandl bin
Ich gschwind
hineingeschlieft
Und hab sogleich mich
in
Den Wald vertieft.
Erst war ich Schmock im Blatt,
Jetzt bin ich
Schmock im Wald,
Jetzt find ich glänzend meinen
Unterhalt.
In Bayern merken s' nicht,
Wie sehr ich bin
verschmockt,
Da merken s' nur, daß
ich
Bin blondgelockt.
Und in Berlin, da fliagen s'
Auf meinen
Dialekt.
Den Erdgeruch der Preuß'
Am liebsten
schmeckt.
Wo er an Lodenjanker
Und an Gamsbart sieht,
Wird dem Berliner
wohlig
Ums Jemiet.
Durch Biederkeit hab ich
Die höchsten Herrn
entzückt
Und Willem selber ist
Von mir berückt.
Daß ich ein alter Schmock,
Das fallt jetzt ins
Gewicht,
Für die (Neue) Freie
Press' mach ich
Den Frontbericht.
Der Roda Roda kriecht
Nicht überall hinein,
Das höxte Interview
Gehört schon mein.
Als Jaga spricht mit mir
Der Kaiser Wilhelm gern,
Das ist doch schön von
einem
Solchen Herrn.
Dann liest er mich als Schmock,
Das macht ihm
wieder Freud,
Und so wart ich auf ihn
Am Anstand heut.
Hollodriohdrioh (man hört ganz fern ein Auto)
Tatü
– tata – tatü –
Die ganze Welt spitzt
auf
Die Entrevü (Zusammenkunft)
Ein Flügeladjutant (erscheint im Laufschritt): Ach da sind Sie ja
Ganghofer. Majestät wird gleich hier sein, Sie hörn schon die Tute. Nehmen Sie
nur recht 'ne burschikose Haltung an, Sie wissen, Majestät hat das gern, machen
Se keene Faxen, bleiben Sie ganz unbefangen,wie Sie sind, wie wenn Se 'nem
alten Jagdkameraden gegenüberständen. Sie wissen, Majestät hat in der Kunst nur
drei Ideale: in der Malerei Knackfuß, in der Musik den Trompeter von Säckingen
und etwa noch Puppchen du mein Augenstern, in der Literatur Sie lieber
Ganghofer, und etwa noch Lauff, Höcker und die Anny Wothe. Otto Ernst hat auch
manches Gute. Also – kein Lampenfieber Ganghofer, das haben Sie weiß Gott
nich nötig – stramm wie's dem Jäger und Naturburschen geziemt, Majestät
wird Ihnen sicherlich unter herzlichem Lachen die Hand entgegenstrecken.
(Man hört das Signal: tatü-tata –)
Nu kommt Majestät. Der
Photograph der Woche ist mit ihm. Es soll ja mit eine der packendsten Szenen werden,wie
Kaiser und Dichter zusammengehn, denn beide wohnen auf der Menschheit Höhn. Ich
denke da aber beileibe nicht an Ihre Berge lieber Ganghofer, sondern an die
geistigen Höhen. Also Mut lieber Ganghofer –
(man hört ganz nah das Signal: tatü-tata –)
immer feste druff!
(S. M. mit Gefolge. Im Hintergrund der Photograph der
Woche. S. M. geht auf den Dichter zu und streckt ihm unter herzlichem Lachen
die Hand entgegen.)
Der Kaiser: Ja
Ganghofer, sind Sie denn überall? Hören Sie mal Ganghofer, Sie sind gut!
Ganghofer:
Majestät, mei Gmüat hat sich bemüat, den Siegeslauf der deutschen Heere
einzuholen. Fix Laudon, dös is aber gach ganga! (Er hüpft.)
Der Kaiser (lachend):
's ist gut Ganghofer,'s ist gut. Ha–haben Sie schon Mittagbrot gegessen?
Ganghofer: Nein,
Majestät, wer würde denn in so großer Zeit an so etwas denken?
Der Kaiser: Um
Gottes willen, da müssen Sie doch gleich etwas essen!
(Der Kaiser winkt, es wird ein Topf mit Tee gebracht
nebst zwei festen Schnitten Gebäck. Der Kaiser greift selbst mit der Hand in
eine Blechdose, stopft Ganghofer die Taschen mit Zwieback voll und sagt dabei immer
wieder.)
Der Kaiser: Essen
Sie Ganghofer, essen Sie doch!
(Der Photograph knipst.)
Der Kaiser: Waren
Sie schon in Przemisel, Ganghofer? Essen Sie doch, um Gotteswillen, essen Sie
doch!
(Ganghofer ißt.)
Ganghofer:
Untertänigsten Dank, Majestät. Sell woll, in Pschemisl.
Der Kaiser: Na, sind
Sie befriedigt? Ich meine von Przemisel. Aber essen Sie doch, essen Sie doch
Ganghofer!
Ganghofer (essend): Sell woll. Fein war's in dem Pschemisl.
Der Kaiser: Haben Sie
Sven Hedin gesehen? Essen Sie doch Ganghofer –
Ganghofer: (essend):
Sell woll, den hab i gsehn.
Der Kaiser (dessen Auge glänzt): Das
freut mich, daß Sie diesen Mann kennen gelernt haben. Dieser Schwede ist ein
Prachtmensch. Wenn Sie ihn wiedersehen – aber so essen Sie doch Ganghofer
– grüßen Sie ihn herzlichst von mir.
(Ein russischer Flieger kommt von Osten her, er leuchtet
in der goldenen Abendsonne wie ein goldener Käfer. Hinter ihm puffen
Schrapnells empor.)
Der Kaiser (steht
ruhig, schaut hinauf und sagt): Zu kurz!
(Die weiteren Schüsse bleiben weit hinter dem Flieger
zurück.)
Der Kaiser (nickt
sinnend.) Ja, Flügel haben, das heißt für die andern immer zu spät kommen.
Essen Sie doch Ganghofer.
(Es tritt eine Pause ein, während deren Ganghofer ißt. Plötzlich
wendet sich der Kaiser zum Dichter und sagt ihm mit gedämpfter Stimme, streng
und langsam, jedes Wort betonend:)
Der Kaiser:
Ganghofer – was – sagen Sie – zu – Italien?
(Erst nach einer Weile, während deren Ganghofer gegessen
hat, vermag er zu antworten.)
Ganghofer:
Majestät, wie es kam, so ist es besser für Österreich und für uns. Der reine
Tisch ist immer das beste Möbelstück in einem redlichen Haus.
(Der Kaiser nickt. Ein Aufatmen strafft die Gestalt.)
Der Flügeladjutant (leise zu Ganghofer): Dialekt! Dialekt!
Der Kaiser: Nu
Ganghofer haben Se 'n schönes Feijetong fertig? Lassen Se hören – ha.
Ganghofer: Zu
dienen, Majestät, aber leider ist es teilweise hochdeutsch –
Der Flügeladjutant (leise): Dialekt!
Der Kaiser: Na wenn
schon, ha lesen Se unbesorgt vor.
Ganghofer: Der
Anfang, Majestät, ist in schwäbischer Mundart.
Der Kaiser: Na, umso
besser, köstlich, lesen Se.
Ganghofer (zieht
ein Manuskript aus der Tasche und liest): »Auf halbem Wege erfahren wir,
daß der erste feindliche Graben vor dem Rozaner Festungsgürtel schon genommen
ist. Da hat's einen feinen Schwabenstreich gegeben. Ein Stuttgarter, der uns
auf der Straße entgegenkommt, mit dem linken Arm in der weißen Binde, sagt
lachend zu mir: »Den erschte Grawe hawe mer. 's isch e bissele hart gange. D'
Russe hawe saumäßig mit Granate herg'schosse. Aber mei, dees macht net viel
aus. Weil mer nur de Grawe hawe! Dees isch d' Hauptsach'!«
Der Kaiser: Famos,
Ganghofer.
Ganghofer (weiter
lesend): »Ich nütze die erste Frühe, um ein gut ausgewachsenes Cousinchen
unserer fleißigen (großen Kanone) Berta zu besuchen.
(Der Kaiser lacht.)
Ein noch junges
Mädchen! Und doch schon von erstaunlicher Kraftfülle! Ihr Mündchen liegt etwa
vier Meter oberhalb meines Haardaches.
(Der Kaiser lacht aus vollem Halse.)
Und eine Stimme hat
sie, daß man sich Watte in die Ohren stopfen muß, wenn man unzerrissene
Trommelfelle behalten will. Beginnt sie ihr donnerndes Lied zu singen –
ein Lied vom deutschen Erfindergeist und deutscher Kraft –, so fährt
ihr ein Feuerstrahl von Mastbaumlänge aus der Kehle, und wer hinter dem
musizierenden Cousinchen steht
(Der Kaiser lacht dröhnend)
sieht eine schwarze,
kleiner und kleiner werdende Scheibe steil durch die Luft emporfliegen bis zu
einer Höhe, die man mit einem vollen Hundert übereinandergeschichteter
Kirchtürme noch nicht erreichen würde. Und viele Sekunden später ist in der
russischen Festung Rozan eine rauch- und feuerspeiende Hölle los. Ein leistungsfähiges
deutsches Kind, diese eiserne Jungfrau!
(Der Kaiser schlägt lachend mit der linken Hand auf
seinen Schenkel.)
Ich verlasse sie mit
dem Gefühl verstärkter Zuversicht und höchster Befriedigung, nehme nach
vierhundert Schritten die Wattepfropfen aus den Ohren und finde nun, daß die
Stimme des trefflichen Mädchens überaus lieblich klingt.
(Der Kaiser lacht wie ein Wolf.)
Ich gebe zu, daß
dieses Urteil einen stark subjektiven Charakter hat. Man darf vermuten, daß ich
als Kommandant der Festung Rozan zu einer wesentlich anderen Meinung gelangen
würde.«
Der Kaiser (der
zuletzt mit leuchtendem Auge und strahlendem Gesicht zugehört hat, schlägt nun
mit der linken Hand unaufhörlich auf seinen Schenkel und ruft): Ach, 's ist
ja zum Schießen! Bravo, Ganghofer, das haben Se gut getroffen. Lauff hat die
dicke Berta besungen und Sie hofieren das Cousinchen, ik lach mich dot, ik lach
mich dot! Aber essen Sie doch Ganghofer, Sie essen ja nicht –
(Ganghofer
ißt. Der Kaiser, mit raschem Entschluß auf ihn zutretend, sagt ihm etwas ins
Ohr. Ganghofer fährt zusammen, ein Stück Zwieback fällt ihm aus dem Mund, sein
Gesicht ist wie von einer frohen Begeisterung überglänzt und drückt Zuversicht
aus. Er legt den Finger an den Mund, als ob er Schweigen zusichern wollte. Der
Kaiser gleichfalls.)
Ganghofer: Ein
neues Stahlband des Zusammenhaltens!
Der Kaiser: Erst am
Tage der Erfüllung bekannt geben!
Ganghofer: Und
dieser Tag wird kommen!
Der Kaiser: Essen
Sie Ganghofer!
(Ganghofer ißt. Eine Ordonnanz bringt eine Nachricht für
ihn.)
Ganghofer: Von
Mackensen! (Er liest in freudiger Erregung.) »Fahren Sie so früh als
möglich los. Die russischen Stellungen bei Tarnoo wurden von uns
genommen –
Der Flügeladjutant (leise): Dialekt!
Ganghofer: –
Morgen fällt Lemberg.« Juchhe! (Er beginnt zu schnadahüpfeln. Dann, sich
sammelnd, ernst, mit einem Blick gen Himmel.) Majestät!
Der Kaiser: Nu was
haben Se denn Ganghofer, tanzen Se doch noch 'n bisken.
Ganghofer: Soll ich
es denn länger verschweigen?
Der Kaiser: Nu was
is denn los?
Ganghofer: Was
Majestät mir soeben anvertraut haben – mei Gmüat kann es nicht länger
zruckhalten – daß Majestät (herausplatzend) drei Waggon Bayrisches
für unsere braven österreichischen Truppen bestimmt haben!
Der Kaiser: Na rufen
Sie's meinswegen in die Welt hinaus! Sie sollen wissen, daß sie was Gutes aus
Ihrem schönen Bayernland zu trinken bekommen! Aber Sie selbst – essen Sie
Ganghofer, essen Sie doch!
Ganghofer (ißt
und schnadahüpfelt zugleich)
(Der Kaiser schlägt den Flügeladjutanten auf den Hintern,
der Photograph knipst.
(Das Gefolge ordnet sich zum Aufbruch. Indem der Kaiser
das Auto besteigt und noch einmal Ganghofern zuwinkt, ertönt das Signal:
tatü-tata – Während man dieses noch aus der Ferne hört, schnadahüpfelt
Ganghofer weiter. Dann bleibt er stehen und sagt, mit völlig verändertem Ton):
Ganghofer: Das
kommt als Leitartikel!
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