1-29. Szene                                                                                              Optimist & Nörgler (4) – Ein Plakat, das Mozarts Requiem anzeigt

> download Word-Doc

Optimist, Nörgler

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Sie können nicht leugnen, daß der Krieg, abgesehen von den guten Folgen für die, welche ständig dem Tod ins Auge blicken müssen, auch einen seelischen Aufschwung mit sich gebracht hat.

Der Nörgler: Ich beneide den Tod nicht darum, daß er sich jetzt von so vielen armen Teufeln ins Auge blicken lassen muß, die erst durch die allgemeine Galgenpflicht auf ein metaphysisches Niveau emporgezogen werden, abgesehen davon, daß es in den meisten Fällen mißlingt.

Der Optimist: Die Guten werden besser und die Schlechten gut. Der Krieg läutert.

Der Nörgler: Er nimmt den Guten den Glauben, wenn er ihnen nicht das Leben nimmt, und er macht die Schlechten schlechter. Die Kontraste des Friedens waren groß genug.

Der Optimist: Aber merken Sie nicht den seelischen Aufschwung des Hinterlands?

Der Nörgler: Was den seelischen Aufschwung des Hinterlands anlangt, so habe ich ihn bisher nicht anders gemerkt als den Straßenstaub, den die Kehrichtwalze aufwirbelt, damit er wieder zu Boden sinke.

Der Optimist: Es verändert sich also nichts?

Der Nörgler: Doch, aus Staub wird Dreck, weil auch der Spritzwagen noch hinterher geht.

Der Optimist: Sie glauben also nicht, daß sich seit dem Anfang August, da sie ausgezogen sind, etwas gebessert hat?

Der Nörgler: Anfang August, ja das war der Ausziehtermin, als man der Menschheit die Ehre gekündigt hatte. Sie hätte ihn vor dem Weltgericht anfechten sollen.

Der Optimist: Wollen Sie etwa die Begeisterung, mit der unsere braven Soldaten ins Feld ziehen, und den Stolz, mit dem die Daheimbleibenden ihnen nachblicken, in Abrede stellen?

Der Nörgler: Gewiß nicht; nur behaupten, daß die braven Soldaten lieber mit den stolz Nachblickenden tauschen würden als die stolz Nachblickenden mit den braven Soldaten.

Der Optimist: Wollen Sie die große Solidarität in Abrede stellen, die der Krieg wie mit einem Zauberschlage hergestellt hat?

Der Nörgler: Die Solidarität wäre noch größer, wenn keiner hinausziehen müßte und alle stolz nachblicken dürften.

Der Optimist: Der deutsche Kaiser hat gesagt: Es gibt keine Parteien mehr, es gibt nur noch Deutsche.

Der Nörgler: Das mag für Deutschland richtig sein, anderswo haben die Menschen vielleicht doch einen noch höheren Ehrgeiz.

Der Optimist: Wieso?

Der Nörgler: Es versteht sich schon nach der Nationalität, daß sie anderswo keine Deutschen sind.

Der Optimist: Wer hat wie Sie die Menschheit im Frieden faulen gesehn?

Der Nörgler: Sie trägt ihre Fäulnis in den Krieg, sie steckt den Krieg mit ihr an, sie läßt ihn an ihr verkommen und sie wird sie unversehrt und vermehrt hinüber in den Frieden retten. Ehe der Arzt die Pest heilt, hat sie ihn und den Patienten umgebracht.

Der Optimist: Ja, aber ist denn für eine so geartete Menschheit der Krieg nicht besser als der Friede?

Der Nörgler: Ist es so, so kommt der Friede hintennach.

Der Optimist: Ich würde doch glauben, daß der Krieg dem Übel ein Ende macht.

Der Nörgler: Er setzt es fort.

Der Optimist: Der Krieg als solcher?

Der Nörgler: Der Krieg als dieser. Er wirkt aus den Verfallsbedingungen der Zeit, mit ihren Bazillen sind seine Bomben gefüllt.

Der Optimist: Aber es gibt doch wenigstens wieder ein Ideal. Ist es da mit dem Übel nicht vorbei?

Der Nörgler: Das Übel gedeiht hinter dem Ideal am besten.

Der Optimist: Aber die Beispiele von Opfermut müssen doch fortwirken über den Krieg hinaus.

Der Nörgler: Das Übel wirkt durch den Krieg und über ihn fort, es mästet sich am Opfer.

Der Optimist: Sie unterschätzen die sittlichen Kräfte, die der Krieg in Bewegung setzt.

Der Nörgler: Das sei fern von mir. Viele, die jetzt sterben müssen, dürfen zwar auch morden, sind aber jedenfalls der Möglichkeit, zu wuchern, enthoben. Nur daß sich für diesen Ausfall die andern, die ihnen stolz nachblicken, entschädigen können. Die dort sind die superarbitrierten Sünder; die hier rücken frisch ein.

Der Optimist: Sie verwechseln eine Oberflächenerscheinung, wie sie die korrupte Großstadt bietet, mit dem gesunden Kern.

Der Nörgler: Die Bestimmung des gesunden Kerns ist, Oberflächenerscheinung zu werden. Die Richtung der Kulturtendenz führt zur Welt als Großstadt. Im Handumdrehn können Sie aus einem westfälischen Bauern einen Berliner Schieber machen, umgekehrt gehts nicht und zurück ginge es auch nicht mehr.

Der Optimist: Aber die Idee, für die gekämpft wird, bedeutet doch eben dadurch, daß wieder eine Idee da ist und daß man sogar für sie sterben kann, die Möglichkeit einer Gesundung.

Der Nörgler: Man kann sogar für sie sterben und wird trotzdem nicht gesund. Man stirbt eben nicht für sie, sondern an ihr. Und man stirbt an ihr, ob man für sie lebt oder stirbt, in Krieg und Frieden. Denn man lebt von ihr.

Der Optimist: Das ist ein Wortspiel. Welche Idee haben Sie im Auge?

Der Nörgler. Die Idee, für die das Volk stirbt, ohne sie zu haben, ohne etwas von ihr zu haben, und an der das Volk stirbt, ohne es zu wissen. Die Idee der kapitalistischen, also jüdisch-christlichen Weltzerstörung, die im Bewußtsein jener liegt, die nicht kämpfen, sondern für die Idee und von ihr leben und wenn sie nicht unsterblich sind, an Fettsucht oder Zuckerkrankheit sterben.

Der Optimist: Wenn also nur für eine solche Idee gekämpft wird, wer würde dann siegen?

Der Nörgler: Hoffentlich nicht jene Kultur, die sich am willigsten der Idee überlassen hat, deren Durchsetzung von eben der Macht-Organisation abhängt, zu welcher diese Idee ausschließlich fähig war.

Der Optimist: Ich verstehe. Die andern, die Feinde, würden dann also für eine andere Idee kämpfen?

Der Nörgler: Hoffentlich. Nämlich für eine Idee. Nämlich für die, die europäische Kultur von dem Druck jener Idee zu befreien. Sich selbst zu befreien, sich selbst auf dem Weg, auf dem die Gefahr gespürt wird, zur Umkehr zu bringen.

Der Optimist: Und Sie glauben, daß dergleichen den Staatsmännern der feindlichen Mächte bewußt ist, die doch gerade in offenkundiger Weise Handelsinteressen vertreten und als die Partei des händlerischen Neides vor der Weltgeschichte gezeichnet sind?

Der Nörgler: Die Weltgeschichte erscheint bei uns täglich zweimal, also zu oft, um sich die nötige Autorität bei der Entente zu verschaffen. Nein, bewußt ist den Staatsmännern nie eine Idee, aber in dem Instinkt der Völker lebt sie so lange, bis sie sich eines Tages in einer staatsmännischen Handlung manifestiert, die dann ein ganz anderes Gesicht, ein ganz anderes Motiv hat. Man sollte sich allmählich gewöhnen, das, was man britischen Neid, französische Revanchesucht und russische Raubgier nennt, als eine Aversion gegen den ehernen Tritt deutscher Schweißfüße aufzufassen.

Der Optimist: Sie glauben also nicht, daß es sich einfach um einen planmäßigen Überfall handelt?

Der Nörgler: Doch.

Der Optimist: Also wie –?

Der Nörgler: Ein Überfall geschieht in der Regel gegen den, der überfallen wird, seltener gegen den, der überfällt. Oder nennen wir es einen Überfall, der für den Überfallenden etwas überraschend kam, und einen Akt der Notwehr, der den Überfallenden ein wenig überrumpelt hat.

Der Optimist: Sie belieben zu scherzen.

Der Nörgler: Im Ernst halte ich diesen europäischen Zusammenschluß gegen Mitteleuropa für die letzte elementare Tatsache, deren die christliche Zivilisation fähig war.

Der Optimist: Sie sind also offenbar der Ansicht, daß nicht Mitteleuropa, sondern die Entente im Zustand der Notwehr gehandelt hat. Wenn sie aber, wie sich zeigt, nicht fähig ist, diese Notwehr eines Überfalls erfolgreich durchzuführen?

Der Nörgler: Dann würde dieser Händlerkrieg vorläufig zu Gunsten jener entschieden werden, die weniger Religion hatten, um nach hundert Jahren in einen offenen Religionskrieg überzugehen.

Der Optimist: Wie meinen Sie das?

Der Nörgler: Ich meine, daß dann das judaisierte Christentum Europas vor dem Gebot des asiatischen Geistes die Waffen strecken wird.

Der Optimist: Und mit welchen Waffen würde der asiatische Geist das erzwingen?

Der Nörgler: Mit Waffen. Mit eben der Idee der Quantität und der entwickelten Technik, mit der allein der Idee, dem infernalischen Geist Mitteleuropas beizukommen ist. Die Quantität hat China schon, die andere Waffe wird es sich noch zulegen. Es wird für rechtzeitige Japanisierung sorgen. Es wird so verfahren wie heute in kleinerem Maße England, das sich den Militarismus anschaffen muß, um mit ihm fertig zu werden.

Der Optimist: Aber es wird ja mit ihm nicht fertig.

Der Nörgler: Ich hoffe, doch. Und: daß es nicht selbst fertig würde, wenn es den Militarismus bekäme; und daß es nicht mit geistiger Verarmung einen materiellen Sieg erkaufe. Sonst würde Europa verdeutscht. Der Militarismus ist vielleicht ein Zustand, durch den ein europäisches Volk besiegt wird, nachdem es durch ihn gesiegt hat. Die Deutschen haben sich als erste aufgeben müssen, um das erste Militärvolk der Erde zu sein. Möge es den andern nicht ähnlich ergehen, zumal den Engländern, die ein edlerer Selbsterhaltungstrieb bisher vor der allgemeinen Wehrpflicht bewahrt hat. Die jetzige Notwehr, die den allgemeinen Zwang herbeiruft, ist nicht nur ein verzweifelter, sondern auch ein zweifelhafter Versuch. England könnte zugleich mit Deutschland sich selbst besiegen. Die einzige Rasse, die stark genug ist, das technische Leben zu überdauern, lebt nicht in Europa. So sehe ich es manchmal. Gebe der Christengott, daß es anders kommt!

Der Optimist: Aha, Ihre Chinesen; die kriegsuntüchtigste Rasse!

Der Nörgler: Gewiß, sie lassen heute alle Errungenschaften der Neuzeit vermissen, denn sie haben sie vielleicht in einer uns unbekannten Vorzeit schon durchgemacht und ihr Leben daraus gerettet. Sie werden sie spielend wieder erringen, sobald sie sie brauchen werden, um sie den Europäern abzugewöhnen. Sie werden auch Firlefanz treiben: aber zu einem moralischen Zwecke. Das nenne ich einen Religionskrieg, der eine Art hat.

Der Optimist: Welcher Idee verhilft er zum Siege?

Der Nörgler: Der Idee, daß Gott den Menschen nicht als Konsumenten oder Produzenten erschaffen hat, sondern als Menschen. Daß das Lebensmittel nicht Lebenszweck sei. Daß der Magen dem Kopf nicht über den Kopf wachse. Daß das Leben nicht in der Ausschließlichkeit der Erwerbsinteressen begründet sei. Daß der Mensch in die Zeit gesetzt sei, um Zeit zu haben und nicht mit den Beinen irgendwo schneller anzulangen als mit dem Herzen.

Der Optimist: Das ist Urchristentum.

Der Nörgler: Christentum ist es nicht, denn dieses war nicht widerstandsfähig vor der Rache Jehovahs. Seine Verheißung zu schwach, um den irdischen Heißhunger vertrösten zu können, der sich für die himmlische Entschädigung schon hienieden entschädigt. Denn diese Art Menschheit ißt nicht um zu leben, sondern lebt um zu essen und stirbt nun gar dafür. Freudenhaus und Schlachthaus und im Hintergrund die Kapelle, in der ein vereinsamter Papst die Hände ringt.

Der Optimist: Also mit einem Wort, die Idee ist der Kampf gegen den Materialismus.

Der Nörgler: Also mit einem Wort: die Idee.

Der Optimist: Aber ist denn nicht der deutsche Militarismus gerade jene konservative Einrichtung, die den von Ihnen verachteten Tendenzen der modernen Welt entgegensteht? Ich wundere mich, daß ein konservativer Denker gegen den Militarismus spricht.

Der Nörgler: Ich wundere mich gar nicht, daß ein Fortschrittsmann für den Militarismus spricht. Sie haben ganz recht: denn der Militarismus ist nicht das was ich meine, sondern das was Sie meinen. Er ist das Machtmittel, das der jeweils herrschenden Geistesrichtung zu ihrer Durchsetzung dient. Heute dient er, nicht anders als ihr die Presse dient, der Idee jüdisch-kapitalistischer Weltzerstörung.

Der Optimist: Aber in den Äußerungen der feindlichen Mächte ist von nichts anderm die Rede als daß sie die Freiheit gegen die Autokratie schützen wollen.

Der Nörgler: Das ist jetzt das nämliche. Was im Instinkt der Menschheit, auch der unfreiesten, lebt, ist die Sehnsucht, die Freiheit des Geistes gegen die Diktatur des Geldes, die Menschenwürde gegen die Autokratie des Erwerbs zu schützen. Der Militarismus ist das Machtmittel dieser Diktatur, anstatt daß er innerhalb des Staates zum Werkzeug gegen sie verwendet würde, zu dem er von Natur geschaffen ist. Seitdem die todbringende Waffe ein Industrieprodukt ist, kehrt sie sich gegen die Menschheit, und der Berufssoldat weiß nicht mehr, welcher Bestrebungen Werkzeug er ist. Auch Rußland kämpft gegen die Autokratie. Aus einem letzten kulturellen Instinkt heraus wehrt es sich gegen die dem Geist und der Menschenwürde gefährlichste Macht, gegen jene Überredung, der die prinzipielle Unterworfenheit des christlichen Gedankens am leichtesten und zum heillosesten Pakte unterliegt.

Der Optimist: Sollten aber die heterogenen Völker, die zu diesem Krieg zusammengetrommelt wurden, eben diese eine gemeinsame Sehnsucht haben? Die russische Autokratie und die westliche Demokratie?

Der Nörgler: Eben diese Antithese beweist die tiefere Gemeinsamkeit, die über das politische Ziel hinausgreift. Und daß selbst die Kontraste zusammengehen, beweist, daß die schlechte Politik Deutschlands, diese Ohnmacht gegen diplomatische Schulregeln, der Ausdruck einer Entwicklungsnotwendigkeit war.

Der Optimist: Aber das Gemenge dieser Verbündeten ist doch allzu bunt.

Der Nörgler: Die Mischung beweist die Echtheit des Hasses.

Der Optimist: Aber der Haß gebraucht die falschesten Argumente.

Der Nörgler: Das tut der Haß immer, doch seine falschen Argumente sind ein Beweis für die Wahrheit seines Instinkts.

Der Optimist: So hätten also die Deutschen es nötig, aus den Reichen der Lüge sich kulturelle Auffrischung zu holen?

Der Nörgler: Nötig wohl, aber ein Sieg würde es ihnen überflüssig erscheinen lassen. Sie würden von ihren bedenklichsten Wahrheiten nicht zu heilen sein. Denn es ist immerhin fraglich, ob nicht die »Lügen des Auslands«, vorausgesetzt, daß nicht auch sie made in Germany sind, mehr Lebenssaft enthalten als eine Wahrheit des Wolff'schen (Informations-) Büros (in Berlin). Bei jenen kann man die Lüge, die einem Naturell entspringt, von der Wahrheit, die einer Einsicht entspringt, unterscheiden; hier sagen sie selbst die Wahrheit wie gedruckt und alles entspringt dem Papier. Ist die Lüge in romanischen Ländern ein Rausch, so ist sie hier eine Wissenschaft und darum dem Organismus gefährlich. Die dort sind Künstler der Lüge, sie glauben selbst nicht daran, sie wollen sie aber hören, weil ihnen die Lüge deutlicher sagt, was sie empfinden: ihre Wahrheit. Die hier lügen um kein Wort mehr als für den zu erreichenden Zweck unbedingt notwendig ist; sie sind Ingenieure der Lüge, sie sichern durch sie ihre Kriegs- und Lebenslüge.

Der Optimist: Die Vorwürfe, daß die deutsche Kriegführung barbarisch sei, sind doch zu albern.

Der Nörgler: Nehmen wir mit Gott an, die deutsche Kriegführung sei bis auf etliche nur als Repressalien angewandte Maßnahmen, die zufällig immer die Zivilbevölkerung treffen, und bis auf Fälle wie den der Lusitania, die der Biedersinn »Zwischenfälle« nennt, nicht barbarischer als die Kriegführung der andern. Aber wenn die andern sagen, die deutsche Kriegführung sei barbarisch, so fühlen sie doch mit Recht, daß die deutsche Friedensführung barbarisch ist. Und das muß sie gewesen sein, da sie sonst nicht seit Generationen auf dem Gedanken aufgebaut gewesen wäre, die deutsche Kriegführung vorzubereiten.

Der Optimist: Aber die Deutschen sind schließlich doch auch das Volk der Dichter und Denker. Widerspricht nicht die deutsche Bildung dem von Ihnen behaupteten Materialismus?

Der Nörgler: Die deutsche Bildung ist kein Inhalt, sondern ein Schmückedeinheim, mit dem sich das Volk der Richter und Henker seine Leere ornamentiert.

Der Optimist: Das Volk der Richter und Henker? So nennen Sie die Deutschen? Das Volk Goethes und Schopenhauers?

Der Nörgler: So kann es sich selbst nennen, weil es gebildet ist, aber es müßte dafür von Rechtswegen nach seinem populärsten Strafparagraphen, nämlich wegen groben Unfugs, vom Weltgericht abgeurteilt werden.

Der Optimist: Warum denn?

Der Nörgler: Weil Goethe und Schopenhauer gegen den heutigen Zustand des deutschen Volkes mit mehr Berechtigung alles das vorbrächten, was sie gegen ihre deutsche Zeitgenossenschaft auf dem Herzen hatten, und mit mehr Schärfe als der »Matin« Sie müßten heute froh sein, wenn es ihnen glückte, als lästige Inländer über die Grenze zu kommen. Goethe hat schon dem aufgeschwungenen Zustand, in dem sich sein Volk während des Befreiungskrieges befand, nichts als das Gefühl der Leere abgewinnen können, und die deutsche Umgangs- und Zeitungssprache könnte Gott danken, wenn sie heute noch auf dem Niveau wäre, auf dem Schopenhauer sie verächtlich gefunden hat. Kein Volk lebt entfernter von seiner Sprache, also von der Quelle seines Lebens, als die Deutschen. Welcher neapolitanische Bettler stünde seiner Sprache nicht näher, als der deutsche Professor der seinen! Ja, aber gebildet ist dieses Volk wie kein andres und weil seine Doktoren ohne Ausnahme, das heißt, wenn sie nicht in einem Pressequartier unterkommen, mit Gasbomben hantieren, macht es gleich seine Feldherrn zu Doktoren. Was hätte Schopenhauer zu einer philosophischen Fakultät gesagt, die ihre höchste Ehre an einen Organisator des Maschinentods vergibt? Gebildet sind sie, das muß ihnen der britische Neid lassen, und wissen Bescheid von allem. Ihre Sprache dient eben noch dem Zweck, Bescheid zu sagen. Dieses Volk schreibt heute das abgestutzte Volapük des Weltkommis und wenn es die Iphigenie nicht zufällig ins Esperanto rettet, so überläßt es das Wort seiner Klassiker der schonungslosen Barbarei aller Nachdrucker und entschädigt sich in einer Zeit, in der kein Mensch mehr das Schicksal des Wortes ahnt und erlebt, durch Luxusdrucke, Bibliophilie und ähnliche Unzucht eines Ästhetizismus, die ein so echtes Stigma des Barbarentums ist wie das Bombardement einer Kathedrale.

Der Optimist: Aha, aber die Kathedrale von Reims war ein militärischer Beobachtungsposten!

Der Nörgler: Interessiert mich nicht. Die Menschheit selbst ist ein militärischer Beobachtungsposten – ich wollte, sie würde von Kathedralen beschossen.

Der Optimist: Aber das mit der deutschen Sprache verstehe ich nicht ganz. Sie sind der, der mit der deutschen Sprache förmlich verlobt tut und ihr in der Schrift gegen den Heineismus den Vorzug vor den romanischen Sprachen zuerkannt hat. Jetzt denken Sie offenbar anders.

Der Nörgler: Daß ich jetzt anders denke, kann nur ein Deutscher finden. Eben ich denke so, weil ich mit ihr verlobt bin. Ich bin ihr auch treu. Und ich weiß, wie dieser Krieg es bestätigen wird und wie ein Sieg, vor dem Gott uns bewahren möge, der vollkommenste Verrat am Geiste wäre.

Der Optimist: Sie sehen doch aber die deutsche Sprache als die tiefere?

Der Nörgler: Aber tief unter ihr den deutschen Sprecher.

Der Optimist: Und die andern Sprachen stehn doch nach Ihrer Ansicht tief unter der deutschen?

Der Nörgler: Aber die andern Sprecher höher.

Der Optimist: Sind Sie denn in der Lage, einen faßbaren Zusammenhang zwischen der Sprache und dem Krieg herzustellen?

Der Nörgler: Etwa den: daß jene Sprache, die am meisten zu Phrase und Vorrat erstarrt ist, auch den Hang und die Bereitschaft hat, mit dem Tonfall der Überzeugung alles das an sich selbst untadelig zu finden, was dem andern zum Vorwurf gereicht.

Der Optimist: Und das sollte eine Qualität der deutschen Sprache sein?

Der Nörgler: Hauptsächlich. Sie ist heute selbst jene Fertigware, die an den Mann zu bringen den Lebensinhalt ihrer heutigen Sprecher ausmacht, und sie hat nur noch die Seele des Biedermannes, der gar keine Zeit hatte, eine Schlechtigkeit zu begehen, weil sein Leben nur auf sein Geschäft auf- und draufgeht und wenns nicht gereicht hat, ein offenes Konto bleibt.

Der Optimist: Sollten diese Gedanken nicht weit hergeholt sein?

Der Nörgler: Von dem Fernsten, von der Sprache.

Der Optimist: Und suchen die andern kein Geschäft?

Der Nörgler: Aber ihr Leben geht nicht drauf auf.

Der Optimist: Die Engländer machen mit dem Krieg ein Geschäft und ließen auch stets nur Söldner für sich kämpfen.

Der Nörgler: Die Engländer sind eben keine Idealisten, sie wollen für ihr Geschäft nicht ihr Leben einsetzen.

Der Optimist: Söldner kommt unmittelbar von Sold, da haben Sie Ihre Sprache!

Der Nörgler: Ein klarer Fall. Aber Soldat noch unmittelbarer. Der Unterschied ist freilich, daß der Soldat weniger Sold und mehr Ehre bekommt, wenn er fürs Vaterland sterben geht.

Der Optimist: Aber unsere Soldaten kämpfen doch eben fürs Vaterland.

Der Nörgler: Ja, das tun sie wirklich, und zum Glück aus Begeisterung, weil sie sonst dazu gezwungen wären. Die Engländer sind keine Idealisten. Sie sind vielmehr so sauber, wenn sie ein Geschäft machen wollen, es nicht Vaterland zu nennen, sie sollen gar kein Wort in ihrer Sprache dafür haben, sie lassen die Ideale in Ruhe, wenn der Export in Gefahr ist.

Der Optimist: Sie sind Händler.

Der Nörgler: Wir sind Helden.

Der Optimist: Ja, aber Sie sagen doch wieder, daß die Engländer mit allen andern zusammen für ein Ideal kämpfen?

Der Nörgler: Ich sage, daß sie es unter den realsten Vorwänden zu tun imstande sind, während wir unter den idealsten Vorwänden auf ein Geschäft ausgehen.

Der Optimist: Halten Sie es für ein Ideal, die Deutschen an einem Geschäft zu hindern?

Der Nörgler: Gewiß, eben das, was wir für Konkurrenzneid halten. In Wahrheit ist es das Wissen, wem eine Ausdehnung des Etablissements kulturell bekömmlich ist und wem nicht. Es gibt Völker, die nicht zu viel essen dürfen, weil sie eine schlechte kulturelle Verdauung haben. Das spürt die Nachbarschaft im Nu und peinlicher als sie selbst. Welthandel würde den deutschen Geist, von dem die deutsche Bildung schon längst nichts mehr weiß, für alle Zeit isolieren. Aber um mit der Welt in geistiger Verbindung zu bleiben, dazu ist Exportvermehrung keineswegs förderlich. Den Engländern steht dergleichen zu, ohne der dürftigen Seele, die wir an ihnen wahrzunehmen glauben, Abbruch zu tun. Sie können sich das Notwendige wie den Luxus des Ornaments ohne Gefahr leisten und vertragen den Betrieb so gut wie die Monarchie. Im deutschen Wesen, an dem die Welt genesen soll, geht alles Heterogene sofort eine heillose Verbindung ein. Jene haben Kultur, weil sie das bißchen Innerlichkeit von den Problemen des Konsums streng zu separieren wissen. Sie wollen von keinem Schmutzkonkurrenten gezwungen sein, länger als sechs Stunden zu arbeiten, um den Rest des Tags jenen Beschäftigungen vorzubehalten, für die Gott den Briten erschaffen hat: Gott oder Sport, wobei die Beschäftigung mit Gott selbst dann eine innere Angelegenheit wäre, wenn sie nur Heuchelei wäre, weil sie immerhin ein Gedanke ist, der von dem Tagwerk weitab führt. Und darauf kommt es an. Während der Deutsche vierundzwanzig Stunden im Tag arbeitet und die seelischen, geistigen, künstlerischen und sonstigen Verpflichtungen, die er durch diese Einteilung vernachlässigen würde, innerhalb der Arbeit absolviert, indem er ihren bezüglichen Inhalt gleich als Ornament, als Warenmarke, als Aufmachung verwendet. Er will nichts versäumen. Und diese Vermischung der inneren Dinge mit den Lebensnotwendigkeiten, diese Einstellung des Lebensmittels als Lebenszweck und gleichzeitige Verwendung des Lebenszwecks im Dienste des Lebensmittels, wie etwa der »Kunst im Dienste des Kaufmanns« – dies ist das unselige Element, in welchem das deutsche Ingenium floriert und verwelkt. Dies und nichts anderes, der fluchwürdige Geist ewiger Verbindung, Umstülpung, Aufmachung ist das Problem des Weltkriegs. Wir sind Händler und Helden in einer Firma.

Der Optimist: Das Problem des Weltkrieges ist bekanntlich, daß Deutschland seinen Platz an der Sonne haben wollte.

Der Nörgler: Das ist bekannt, aber man weiß noch nicht, daß wenn dieser Platz erobert wäre, die Sonne untergehn würde. Worauf freilich die Norddeutsche Allgemeine die Antwort hätte, daß wir dann im Schatten kämpfen würden. Und zwar bis zum siegreichen Ende und darüber hinaus.

Der Optimist: Sie sind ein Nörgler.

Der Nörgler: Ich bin es, wiewohl ich gern zugebe, daß Sie ein Optimist sind.

Der Optimist: Waren Sie nicht einer, der ehedem der deutschen Organisation ein Loblied gesungen und sie wenigstens im Vergleich zur romanischen Wildnis begünstigt hat?

Der Nörgler: Ehedem und noch jetzt. Die deutsche Organisation – nehmen wir selbst an, sie hielte dem fessellosen Krieg stand – ist ein Talent und wie jedes Talent welt- und zeitläufig. Es ist praktisch, subaltern und dient der Persönlichkeit, die sich seiner bedient, besser als die zerfahrene Umgebung, in der auch der subalterne Mensch Persönlichkeit hat. Wie sehr muß aber ein Volk sich seiner Persönlichkeit entäußert haben, um zu der Fähigkeit zu gelangen, so glatt die Bahn des äußeren Lebens zu bestellen! Ein Kompliment war diese Anerkennung nie, und bei der Entscheidung zwischen Menschheitswerten, zu der vor dem Krieg kein Aufruf erfolgt war, hat das nervöse Bedürfnis des Individualitätsmenschen nicht mehr mitzureden. Er durfte in einem schlechten Leben und zumal in dem Chaos, in das dieses schlechte Leben gar hierzulande verdammt ist, sich nach Ordnung sehnen; er durfte in diesem Notstand die Technik als Pontonbrücke benützen, um zu sich selbst zu gelangen; er war es zufrieden, daß die Menschheit um ihn herum nur noch aus Chauffeuren bestand, denen er getrost auch allerlei Stimmrecht entzogen hätte. Jetzt geht es um die Persönlichkeit der Völker.

Der Optimist: Und welche siegt?

Der Nörgler: Als Nörgler bin ich verpflichtet, schwarz zu sehen und zu fürchten, daß jene siegt, die am wenigsten Individualität bewahrt hat, also die deutsche. Innerhalb der geistigen Grenzen des europäischen Christentums sehe ich das, in schwarzen Stunden, so verlaufen. Die seelische Aushungerung kommt hintennach.

Der Optimist: Dies das Resultat des Weltkriegs?

Der Nörgler: Des europäischen Kriegs, und bis zu der Entscheidung, die der wahre Weltkrieg gegen das im Geist geeinte Europa bringen würde. Der slavo-romanische, von Hilfsvölkern unterstützte Aufstand bleibt eine Episode, bis ganz Europa genügend deutsche Moral, Stinkbomben und allgemeine Wehrpflicht hat, um von Asien mores gelehrt zu werden. So fürchte ich manchmal. Doch zumeist bin ich ein Optimist und ein ganz anderer als Sie. Darin hoffe ich zuversichtlich, daß es gut ausgehn wird, und sehe, daß diese ganze Siegerei nichts ist als ein frevIer Zeit- und Blutverlust zur Fristerstreckung der unabwendbaren Niederlage.

Der Optimist: Seien Sie vorsichtig!

Der Nörgler: Ich sage es ja nur Ihnen und öffentlich. Sie sagen es nicht weiter, und meinen Stil versteht der Henker nicht. Ich würde gern deutlicher werden. Aber ich lasse die Preußen aufs Ganze gehn und denke mir meinen Teil.

Der Optimist: Aber Sie widersprechen sich auch in dem, was Sie für sich behalten.

Der Nörgler: Das ist doch kein Widerspruch, daß ich unsern Sieg fürchte und auf unsere Niederlage hoffe.

Der Optimist: Und es besteht also auch kein Widerspruch zwischen Ihrem Lob des deutschen Wesens und Ihrem Tadel?

Der Nörgler: Nein, es besteht kein Widerspruch zwischen dem Lob einer Zivilisation, die das äußere Leben reibungslos macht, Straßendreck durch Asphalt ersetzt und der ergänzungswilligen Phantasie Schemen statt einer wertlosen Wesenhaftigkeit liefert, und dem Tadel einer Kultur, die sich eben um dieser Reibungslosigkeit, Promptheit und Geschicklichkeit willen verflüchtigt hat. Es ist kein Widerspruch, sondern eine Tautologie. Ich fühlte mich in einer allgemeinen Mißwelt am wohlsten dort, wo sie geordnet ist und die Gesellschaft entleert genug, um mir eine Komparserie zu stellen, in der einer wie der andere aussieht und darum das Gedächtnis nicht mit Physiognomien belastet wird. Aber ich wünsche nicht, daß es der Zustand der Menschheit sei, ich bin weit entfernt davon, meine Bequemlichkeit über das Glücksbedürfnis der Nation zu setzen, und halte es für verfehlt, wenn diese selbst sich wie ein Bataillon Aschingerbrötchen aufreiben läßt.

Der Optimist: So klären Sie mir auch den Widerspruch auf, daß sie den militärischen Typus für den relativ saubersten im Staatsleben gehalten haben.

Der Nörgler: Das ist so wenig ein Widerspruch wie der andere einer ist. Der militärische Typus war unter allen vorrätigen Typen der Mittelmäßigkeit im Chaos einer Friedenswelt der brauchbarste. Dienst ist die Schranke der zügellosen Unbedeutung. Uucht, Pflichterfüllung um ihrer selbst willen ist der Anstand der Banalität. Dies als Augenmaß für das Gesichtsfeld eines Geldbürgertums. Sogar der Jobber, der einmal dienen muß, anstatt zu gebieten, kommt mit einem bessern, weniger störenden, fettlosen Habitus zurück.

Der Optimist: Das wäre ja beileibe ein Lob des Kriegs.

Der Nörgler: Nein, nur der Strapaz. Bei Leibe! Der Tod hebt den erreichten Gewinn wieder auf.

Der Optimist: Das ist wahr. Aber wenn die Jobber sterben, so muß Ihnen das doch recht sein.

Der Nörgler: Die Jobber sterben nicht. Und vor allem macht der angemaßte Todesglanz den Wert der Turnübung wett. Das Heldentum der Unbefugten ist die schaurigste Aussicht dieses Kriegs. Es wird dereinst der Hintergrund sein, auf dem sich die vermehrte oder unveränderte Niedrigkeit malerischer und vorteilhafter abhebt.

Der Optimist: Aber es wird doch wirklich gestorben. Beachten Sie die tägliche Zeitungsrubrik »Heldentod«.

Der Nörgler: Gewiß, es ist dieselbe Rubrik, in der früher die Verleihung des Kommerzialratstitels gemeldet wurde. Aber dieser traurige Zufall eines Granatsplitters wird auch den überlebenden Vertretern der kommerziellen Interessen, für die jene gestorben sind, eine Aureole verschaffen.

Der Optimist: Sie meinen die, die daheimgeblieben sind?

Der Nörgler: Ja, diese werden sich für den Zwang, dem jene erlegen sind, entschädigen, für den Zwang im Dienst einer fremden Idee sterben zu müssen, der da allgemeine Wehrpflicht heißt.

Der Optimist: Diesem Übermut werden die heimkehrenden Krieger schon zu begegnen wissen.

Der Nörgler: Die heimkehrenden Krieger werden in das Hinterland einbrechen und dort den Krieg erst beginnen. Sie werden die Erfolge, die ihnen versagt waren, an sich reißen und der Lebensinhalt des Kriegs, den Mord, Plünderung und Schändung bilden, wird ein Kinderspiel sein gegen den Frieden, der nun ausbrechen wird. Vor der Offensive, die dann bevorsteht, bewahre uns der Schlachtengott! Eine furchtbare Aktivität, aus Schützengräben befreit, durch kein Kommando mehr geleitet, wird in allen Lebenslagen nach der Waffe und nach dem Genuß greifen, und es wird mehr Tod und Krankheit in die Welt kommen, als der Krieg selbst ihr zugemutet hat. Der Himmel schütze die Kinder vor den Säbeln, die ein häusliches Züchtigungsmittel sein werden, wie vor dem Spielzeug einer mitgebrachten Granate!

Der Optimist: Es ist gewiß gefährlich, wenn Kinder mit Granaten spielen.

Der Nörgler: Und die Erwachsenen, die desgleichen tun, hüten sich nicht einmal, mit Granaten zu beten! Ich habe ein Kreuz gesehen, das aus einer verfertigt war.

Der Optimist: Das sind Begleiterscheinungen. Sonst hat auch der Krieg an Ihnen nicht immer einen so überzeugten Verächter gefunden.

Der Nörgler: Sonst habe ich auch in Ihnen nicht immer einen so überzeugten Mißversteher gefunden. Sonst war der Krieg ein Turnier der Minderzahl und jedes Beispiel hatte Kraft. jetzt ist er ein Maschinenrisiko der Gesamtheit und Sie sind ein Optimist.

Der Optimist: Die Entwicklung der Waffe kann doch hinter den technischen Errungenschaften der Neuzeit unmöglich zurückbleiben.

Der Nörgler: Nein, aber die Phantasie der Neuzeit ist hinter den technischen Errungenschaften der Menschheit zurückgeblieben.

Der Optimist: Ja, führt man denn mit Phantasie Kriege?

Der Nörgler: Nein, denn wenn man jene noch hätte, würde man diese nicht mehr führen.

Der Optimist: Warum nicht?

Der Nörgler: Weil dann die Suggestion einer von einem abgelebten Ideal zurückgebliebenen Phraseologie nicht Spielraum hätte, die Gehirne zu benebeln; weil man selbst die unvorstellbarsten Greuel sich vorstellen könnte und im Voraus wüßte, wie schnell der Weg von der farbigen Redensart und von allen Fahnen der Begeisterung zu dem feldgrauen Elend zurückgelegt ist; weil die Aussicht, fürs Vaterland an der Ruhr zu sterben oder sich die Füße abfrieren zu lassen, kein Pathos mehr mobil machen würde; weil man mindestens mit der Sicherheit hinauszöge, fürs Vaterland Läuse zu bekommen. Und weil man wüßte, daß der Mensch die Maschine erfunden hat, um von ihr überwältigt zu werden, und weil man die Tollheit, sie erfunden zu haben, nicht durch die ärgere Tollheit, sich von ihr töten zu lassen, übertrumpfen würde; weil der Mensch fühlte, daß er sich gegen einen Feind wehren soll, von dem er nichts sieht als aufsteigenden Rauch, und ahnte, daß die eigene Vertretung einer Waffenfabrik keinen hinreichenden Schutz gegen die Angebote der feindlichen Waffenfabrik gewährt. Hätte man also Phantasie, so wüßte man, daß es Verbrechen ist das Leben dem Zufall auszusetzen, Sünde, den Tod zum Zufall zu erniedrigen, daß es Torheit ist, Panzerschiffe zu bauen, wenn man Torpedoboote baut, um sie zu überlisten, Mörser zu bauen, wenn man zum Schutz gegen sie Schützengräben baut, in denen nur jener verloren ist, der seinen Kopf früher heraussteckt, und die Menschheit auf der Flucht vor ihren Waffen in Mauselöcher zu jagen und sie einen Frieden fortan nur unter der Erde genießen zu lassen. Hätte man statt der Zeitung Phantasie, so wäre Technik nicht das Mittel zur Erschwerung des Lebens und Wissenschaft ginge nicht auf dessen Vernichtung aus. Ach, der Heldentod schwebt in einer Gaswolke und unser Erlebnis ist im Bericht abgebunden! 40 000 russische Leichen, die am Drahtverhau verzuckt sind, waren nur eine Extraausgabe, die eine Soubrette dem Auswurf der Menschheit im Zwischenakt vorlas, damit der Librettist gerufen werde, der aus der Parole des Opfermuts »Gold gab ich für Eisen« die Schmach einer Operette verfertigt hat. Die sich selbst verschlingende Quantität läßt nur noch Gefühl für das, was einem selbst und etwa dem räumlich nächsten zustößt, was man unmittelbar sehen, begreifen, betasten kann. Ist es denn nicht spürbar, wie aus diesem ganzen Ensemble, in dem mangels eines Helden jeder einer ist, sich jeder mit seinem Einzelschicksal davonschleicht?

Nie war bei größerer Entfaltung weniger Gemeinschaft als jetzt. Nie war eine riesenhaftere Winzigkeit das Format der Welt. Die Realität hat nur das Ausmaß des Berichts, der mit keuchender Deutlichkeit sie zu erreichen strebt. Der meldende Bote, der mit der Tat auch gleich die Phantasie bringt, hat sich vor die Tat gestellt und sie unvorstellbar gemacht. Und so unheimlich wirkt seine Stellvertretung, daß ich in jeder dieser Jammergestalten, die uns jetzt mit dem unentrinnbaren, für alle Zeiten dem Menschenohr angetanen Ruf »Extraausgabee –!« zusetzen, den verantwortlichen Anstifter dieser Weltkatastrophe fassen möchte. Und ist denn der Bote nicht der Täter zugleich? Das gedruckte Wort hat ein ausgehöhltes Menschentum vermocht, Greuel zu verüben, die es sich nicht mehr vorstellen kann, und der furchtbare Fluch der Vervielfältigung gibt sie wieder an das Wort ab, das fortzeugend Böses muß gebären.

Alles was geschieht, geschieht nur für die, die es beschreiben, und für die, die es nicht erleben. Ein Spion, der zum Galgen geführt wird, muß einen langen Weg gehen, damit die im Kino Abwechslung haben, und muß noch einmal in den photographischen Apparat starren, damit die im Kino mit dem Gesichtsausdruck zufrieden sind. Lassen Sie mich diesen Gedankengang bis zum Galgen der Menschheit nicht weiter gehen – und dennoch muß ich, denn ich bin ihr sterbender Spion, und mein herzbeklemmendes Erlebnis ist der horror vor jenem vacuum, das diese beispiellose Ereignisfülle in den Gemütern, in den Apparaten vorfindet!

Der Optimist: Die schmutzige Begleitung großer Dinge ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung. Es ist ja möglich, daß sich die Welt nicht in der Nacht auf den 1. August 1914 geändert hat. Auch scheint mir Phantasie wirklich nicht zu jenen menschlichen Eigenschaften zu gehören, die im Krieg Betätigung finden. Aber wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie überhaupt leugnen, daß ein moderner Krieg den menschlichen Qualitäten Spielraum lasse.

Der Nörgler: Sie haben mich recht verstanden; er läßt ihnen schon deshalb keinen Spielraum, weil die Tatsache des modernen Krieges von der Negation menschlicher Qualitäten lebt. Es gibt keine.

Der Optimist: Was gibt es denn?

Der Nörgler: Es gibt Quantitäten, die sich gegenseitig gleichmäßig vermindern, indem sie zu beweisen suchen, daß sie es mit den in maschinelle Energien umgesetzten Quantitäten nicht aufnehmen können; daß Mörser auch mit Massen fertig werden. Diesen Beweis erst anzutreten, hat nur jener Mangel an Phantasie ermöglicht und für nötig erachtet, der von der Verwandlung der Menschheit in maschinelle Energien eben übrig blieb.

Der Optimist: Wenn sich die Quantitäten gegenseitig gleichmäßig vermindern, wann wäre dann das Ende?

Der Nörgler: Bis von zwei Löwen die Schwänze übrig bleiben. Oder wenn dies nicht ausnahmsweise einmal Wirklichkeit wird: bis der größeren Quantität ein Vorsprung bleibt. Ich schaudere davor, das hoffen zu müssen. Aber ich schaudere noch mehr davor, fürchten zu müssen, daß der prinzipielleren Quantität ein Vorsprung bleibt.

Der Optimist: Welche wäre das?

Der Nörgler: Eben die geringere. Die größere könnte sich durch Reste eines Menschentums, das sie bewahrt hat, entkräften. Aber die geringere kämpft mit dem inbrünstigen Glauben an einen Gott, der diese Entwicklung gewünscht hat.

Der Optimist: Einen Bismarck brauchten wir. Der würde schon früher ein Ende machen.

Der Nörgler: Es kann keinen geben.

Der Optimist: Warum nicht?

Der Nörgler: Wenn die Welt so weit hält, daß sie ihre Bilanzen mit ihren Bomben belegt, so entsteht keiner.

Der Optimist: Wie sollte man sich sonst gegen den infernalischen Plan einer Aushungerung wehren?

Der Nörgler: Der infernalische Plan einer Aushungerung ist in einem Krieg, der sich um die höchsten Güter einer Nation, nämlich um Verdienen und Fressen dreht, ein ungleich sittlicherer, weil harmonischerer Behelf als die Anwendung von Flammenwerfern, Minen und Gasen. Dort ist das Kriegsmittel vom Stoff des heutigen Kriegs bezogen. Daß Absatzgebiete Schlachtfelder werden und aus diesen wieder jene, will nur der Mischmasch einer Kultur, die aus Stearinkerzen Tempel erbaut und die Kunst in den Dienst des Kaufmanns gestellt hat. Die Industrie hat aber weder Künstler zu beschäftigen noch Krüppel zu liefern. Das falsche Lebensprinzip setzt sich in ein falsches Tötungsprinzip fort, wieder divergiert das Mittel vom Zweck. Wenn sich zwei Konsumvereine in den Haaren liegen, so ist der der sittlichere, der nicht die Esser selbst, sondern eine von ihnen gemietete Polizei Ordnung machen läßt, und wenn er sich mit der Kundenabtreibung oder auch mit der Warenabtreibung begnügt, so handelt er am sittlichsten. Ganz abgesehen davon, daß die Blockade bloß die Mahnung an die Zentralstaaten ist, sie durch Beendigung eines wahnwitzigen Kriegs von ihren Untertanen abzuwenden. Wenn der Buchhalter nicht schon ehedem dem Ritter in den Arm gefallen ist, so sollte er es eben tun, wenn selbst der bereits klar erkennen kann, daß es nicht um ein Turnier, sondern um Baumwolle geht.

Der Optimist: Es handelt sich in diesem Krieg –

Der Nörgler: Jawohl, es handelt sich in diesem Krieg! Aber der Unterschied ist der: Die einen meinen Export und sagen Ideal, die andern sagen Export und diese Ehrlichkeit allein, diese Separation allein ermöglicht schon das Ideal, auch wenn es sonst gar nicht vorhanden wäre.

Der Optimist: Sagen Sie doch nicht, daß es jenen um ein Ideal zu tun ist!

Der Nörgler: Keinesfalls, sie wollen es uns nur nehmen und es eben dadurch uns zurückerobern, indem sie die deutsche Menschheit von der kulturwidrigen Neigung kurieren, es als Aufmachung für ihre Fertigware zu verwenden. Dem Deutschen sind die idealen Güter eine Draufgabe, wenn sie die andern durch Spediteure verfrachten lassen. Sie glauben, es gehe nicht ohne Gott und die Kunst, wenn sie eine Untergrundbahn anlegen. Ich habe in einer Berliner Papierhandlung einen Band Klosettpapier gesehen, auf dessen Blättern Sinn und Humor der jeweiligen Situation durch aufgedruckte Shakespeare-Zitate erläutert waren. Shakespeare ist immerhin ein feindlicher Autor. Aber auch Schiller und Goethe mußten heran, der Band umfaßte die ganze klassische Bildung der Deutschen. Nie vorher hatte ich so sehr den Eindruck, daß es das Volk der Dichter und Denker ist.

Der Optimist: Gut, Sie sehen in dem Krieg der andern einen Kulturinstinkt tätig, im deutschen Krieg ein Interesse wirt-schaftlicher Ausbreitung. Aber würde der ökonomische Wohlstand nicht gerade das deutsche Geistesleben –

Der Nörgler: Nein, er würde nicht, sondern im Gegenteil. Das totale Nichtvorhandensein dieses Geisteslebens war die Voraussetzung für diese Bestrebungen. Die geistige Selbstaushungerung, die ihr Erfolg verheißt, wäre von keiner Phantasie zu fassen, wenn eine solche noch vorrätig wäre.

Der Optimist: Aber sind Sie nicht selbst von der Notwendigkeit des Krieges als solchen überzeugt, wenn Sie von einem Krieg der Quantitäten sprechen? Denn daß er auch das Problem der Übervölkerung auf eine Zeit in Ordnung bringt, geben Sie ja damit zu.

Der Nörgler: Das tut er gründlich. Die Übervölkerungssorgen dürften den Entvölkerungssorgen Platz machen. Die Freigabe der Fruchtabtreibung hätte jenen schmerzloser als ein Weltkrieg abgeholfen, ohne ihn heraufzubeschwören.

Der Optimist: Dazu würde die herrschende Moralauffassung nie ihre Zustimmung geben!

Der Nörgler: Das habe ich mir auch nie eingebildet, da die herrschende Moralauffassung nur dazu ihre Zustimmung gibt, daß Väter, die zu töten dem Zufall nicht ganz gelungen ist, als brotlose Krüppel durch die Welt schleichen und daß Mütter Kinder haben, damit diese von Fliegerbomben zerrissen werden.

Der Optimist: Sie werden doch nicht behaupten, daß dergleichen absichtlich geschieht?

Der Nörgler: Nein mehr: zufällig! Man kann nicht dafür, daß es geschieht, aber es geschieht wissentlich. Mit Bedauern und dennoch. Eine ziemlich reiche Erfahrung auf diesem Gebiete könnte es jenen, die den Luftmord anschaffen, und jenen, die mit der Durchführung betraut sind, endlich zum Bewußtsein gebracht haben, daß sie in der Absicht ein Arsenal zu treffen, unbedingt statt dessen ein Schlafzimmer treffen müssen, und statt einer Munitionsfabrik eine Mädchenschule. Durch Wiederholung sollten sie wissen, daß dies der Erfolg jener Angriffe ist, deren sie nachträglich in der rühmenden Feststellung gedenken, daß sie einen Punkt erfolgreich mit Bomben belegt haben.

Der Optimist: Eines zum andern, es ist ein erlaubtes Kriegsmittel, und da die Luft einmal erobert ist –

Der Nörgler: – so benützt der Schurke Mensch gleich die Gelegenheit, auch die Erde unsicher zu machen. Lesen Sie die Beschreibung von dem Aufstieg einer Montgolfiere in Jean Pauls Kampanertal. Diese fünf Seiten können heute nicht mehr geschrieben werden, weil der Gast der Lüfte nicht mehr die Ehrfurcht vor dem näheren Himmel mitbringt und bewahrt, sondern als Einbrecher der Luft die sichere Entfernung von der Erde zu einem Attentat auf diese selbst benützt. Der Mensch wird keines Fortschritts teilhaft, ohne sich dafür zu rächen. Sie wenden sofort eben das gegen das Leben an, was ihm aufhelfen sollte. Sie machen sichs eben mit dem, was es erleichtern sollte, schwer. Der Aufstieg der Montgolfiere ist eine Andacht, der Aufstieg eines Aeroplans eine Gefahr für jene, die ihn nicht mitmachen.

Der Optimist: Aber doch auch für den bombenabwerfenden Flieger selbst.

Der Nörgler: Jawohl, aber nicht die Gefahr, von jenen, die er töten wird, getötet zu werden, und er entgeht den Maschinengewehren, die auf ihn lauern, leichter, als ihm die Wehrlosen. Leichter auch dem ehrlichen Kampf zwischen zwei gleichbewehrten Mördern, ehrlich, soweit die Schändung des Elements, in dem er sich abspielt, diese Wertung zuläßt. Immer aber bedeutet, mag auch der »Kühne« sie handhaben, die Luftbombe die Armierung der Feigheit, ruchlos wie das Unterseeboot, welches das Prinzip der armierten Tücke vorstellt, jener Tücke, die den Zwerg über den bewaffneten Riesen triumphieren läßt. Die Säuglinge aber, die der Flieger tötet, sind nicht bewaffnet, und wären sie es, sie würden den Flieger kaum so sicher erreichen können wie er sie. Es ist von allen Schanden des Krieges die größte, daß jene einzige Erfindung, die die Menschheit den Sternen näher brachte, lediglich dazu gedient hat, ihre irdische Erbärmlichkeit, als hätte sie auf Erden nicht genügend Spielraum, noch in den Lüften zu bewähren.

Der Optimist: Und die Säuglinge, die ausgehungert werden?

Der Nörgler: Es ist den Regierungen der Zentralstaaten freigestellt, ihren Säuglingen dieses Schicksal zu ersparen, indem sie ihre Erwachsenen von der Fibel entwöhnen. Aber nehmen wir selbst an, daß an der Blockade die feindlichen Machthaber so schuldig seien wie die eigenen: die Bombardierung der feindlichen Säuglinge als Repressalie – das ist ein Gedankengang, der der deutschen Ideologie alle Ehre macht, ein geistiger Unterstand, in dem ich, beim deutschen Gott, nicht wohnen möchte!

Der Optimist: Sie wollen der deutschen Kriegführung eins am Zeug flicken und bedenken nicht, daß die andern sich desselben Kampfmittels bedienen.

Der Nörgler: Das bedenke ich wohl, und es fällt mir nicht ein, die französischen Aeroplane, die ungefähr denselben heldischen Schurkereien dienen, von der Menschheitsschande auszunehmen. Der Unterschied scheint mir aber doch, nebst der Priorität, in einer Gemütsart zu liegen, die auf der einen Seite das Grauenvolle mitmacht, wissend oder vergessend, was es bedeute, und einer solchen, die sich nicht begnügt, Bomben herabzuwerfen, sondern die auch Witze mitschickt und gar einen »Weihnachtsgruß« für die Bewohner von Nancy in solcher Aufmachung darbringt. Auch hier wieder die gräßliche Vermischung des Gebrauchsgegenstandes, nämlich der Bombe, mit dem Gemütsleben, nämlich dem Witz, und des Witzes gar mit der Heiligkeit – die Vermischung, die der Greuel größtes ist, jene äußerste Unzucht, durch die sich ein im Reglement verarmtes Leben auffrischt, die organische Entschädigung für Zucht, Drill und Sittlichkeit. Es ist der Humor des Henkers, es ist die Freiheit einer Moral, die die Liebe auf den Gerichtstisch gelegt hat.

Der Optimist: Entschädigung für Zucht? Aber die war Ihnen doch als Schranke der Unbotmäßigkeit willkommen?

Der Nörgler: Aber nicht als Hebel der Macht! Lieber das Chaos, als Ordnung auf Kosten der Menschheit! Militarismus als Turnstunde und Militarismus als Geisteszustand – das ist doch wohl ein Unterschied. Das Wesen des Militarismus ist, Werkzeug zu sein. Wenn er, ohne es selbst zu ahnen, Werkzeug jener Mächte geworden ist, denen sein Wesen widerstrebt, und wenn er dem durch diese Mächte bedrohten Menschentum gegenüber sich als Selbstzweck aufspielt, dann besteht unversöhnliche Feindschaft zwischen ihm und dem Geiste. Sein Ehreninhalt ist im Bündnis mit einer feigen Technik zur Spielerei geworden, seine selbstgewählte Pflicht im Rahmen des allgemeinen Zwangs ist zur Lüge entartet. Er ist nichts als Ausrede und Entschädigung einer Sklaverei, die sich hinter der Maschine ihre elende Macht beweist. So sehr ist das Mittel Selbstzweck geworden, daß wir im Frieden nur noch militärisch denken und der Kampf nur noch ein Mittel ist, um zu neuen Waffen zu gelangen. Ein Krieg zur höheren Ehre der Rüstungsindustrie. Wir wollen nicht nur mehr Export und darum mehr Kanonen, wir wollen auch mehr Kanonen um ihrer selbst willen: und darum müssen sie losgehen. Unser Leben und Denken ist unter das Interesse des Schwerindustriellen gestellt; das ist eine schwere Last. Wir leben unter der Kanone. Und da sich jener mit Gott verbündet hat, so sind wir verloren. Das ist der Zustand.

Der Optimist: Man könnte den Zustand aber auch aus der Perspektive eines Nietzsche-Ideals ansehn und würde dann zu einem wesentlich andern Ausblick gelangen.

Der Nörgler: Ja, das könnte man wohl und würde Nietzsches Überraschung erleben, daß der »Wille zur Macht« nach Sedan sich nicht als Triumph des Geistes, sondern in Form vermehrter Fabriksschlote darbietet. Nietzsche war ein Denker, der es sich »anders vorgestellt« hat. Nämlich den Seelenaufschwung von anno 1870. An den von 1914 hätte er vielleicht von vornherein nicht geglaubt und sich nicht mehr vom Sieg der eigenen Gedanken verblüffen lassen müssen. Und vielleicht doch den Eroberer verleugnet, der mit dem »Willen zur Macht« im Tornister und anderm Rüstzeug der Bildung auf den Kriegspfad geht.

Der Optimist: Wenn der Krieg keinen kulturellen Segen stiftet, so stiftet er ihn für keines der beteiligten Völker. Falls Sie nicht etwa prinzipiell entschlossen sind, kulturelle Möglichkeiten nur dort zuzugeben, wo Franktireure schlafende Soldaten ermorden.

Der Nörgler: Gewiß dort nicht, wo eigens ein Wolff'sches (Nachrichten) Büro existiert, um es zu behaupten. Aber es wäre selbst auf dem heutigen Stand der Menschheit ein Unikum, daß Flieger, die Bomben auf Säuglinge werfen, sich eines völkerrechtlich erlaubten Kriegsmittels bedienen, und Franktireure die einen Mord begehn, um einen Mord zu rächen, es nur deshalb nicht tun dürfen, weil sie nicht die Lizenz haben, weil sie nicht unter einem Kommando morden, sondern aus einem andern unwiderstehlichen Zwang, nicht aus Pflicht, sondern aus Raserei, also aus jenem einzigen Motiv, das den Mord halbwegs entschuldigt; weil sie unbefugte Mörder sind, die sich weder durch das dazugehörige Kostüm noch durch die Zugehörigkeit zu einem Ergänzungsbezirkskommando, Kader, Ersatzkörper oder wie die Schmach sonst heißt, ausweisen können. Lassen Sie mich über den sittlichen Unterschied zwischen einem Flieger, der ein schlafendes Kind tötet, und einem Zivilisten, der einen schlafenden Soldaten tötet, nicht richten. Ihnen selbst soll, wenn Sie nur die Gefahr bedenken und nicht die Verantwortung, die mutigere Wahl gestellt sein, einen schlafenden Soldaten zu attakieren oder einen wachen Säugling.

Der Optimist: Darin mögen Sie recht haben, aber Sie werden auf der andern Seite die Züge der Menschlichkeit mit der Lupe suchen müssen.

Der Nörgler: Wenn ich sie in unsern Zeitungen suche, allerdings.

Der Optimist: Halten Sie sich nur die Rubrik gegenwärtig: »Wie die Russen in Galizien gehaust haben«.

Der Nörgler: Daraus habe ich allerdings nicht entnehmen können, ob die galizischen Schlösser von polnischen Bauern oder von Honveds (ungarischen Truppen) geplündert wurden. Wohl aber hat sich unter diesem Titel öfter, wie wenn es dem Zwang zur Lüge entrutscht wäre, eine Erzählung von einer russischen Edeltat gefunden.

Der Optimist: Sie meinen doch nicht den Bericht über eine Schändung?

Der Nörgler: Nun, ob Honveds (Ungarn) und Deutschmeister die Frauen des eigenen Landes, von denen des feindlichen nicht zu reden, mit dem Hut in der Hand um ein Glas Wasser gebeten haben werden: sich für diese oder die andere Vermutung zu entscheiden überlasse ich Ihrem Optimismus, dessen unerschütterliche Grundlage die Berichterstattung unseres Kriegspressequartiers zu sein scheint.

Der Optimist: Finden Sie nicht, daß man doch auch bei uns dem Feinde Gerechtigkeit widerfahren läßt?

Der Nörgler: Ja, man begnügt sich manchmal mit dem Humor idiotischer Ansichtskarten.

Der Optimist: Nein, man läßt ihm zuweilen Gerechtigkeit widerfahren.

Der Nörgler: Wenn sie pikant ist, dann kann sie ihm widerfahren. So konnte als Kuriosum – denn eine Wahrheit über das verleumdetste Volk Europas wird die mitteleuropäische Intelligenz sich nicht entfahren lassen –, als Kuriosum erzählt werden, daß die Russen in den katholischen Weihnachten nicht geschossen, sondern Friedens- und Segenswünsche für den Feind in ihren Schützengräben zurückgelassen haben.

Der Optimist: Und gewiß haben sich die Österreicher revanchiert.

Der Nörgler: Gewiß, zum Beispiel der Doktor Fischl, bis zum 1. August Advokaturskonzipient, dann in die große Zeit eingerückt, hat einen Feldpostbrief drucken lassen, worin es heißt: »Morgen feiern die Russen ihre Weihnachten – da wollen wir sie ordentlich kitzeln.«

Der Optimist: Das war ein Spaß.

Der Nörgler: Ganz richtig, das war ein Spaß.

Der Optimist: Man darf nicht generalisieren.

Der Nörgler: Ich tu's. Sie können auf meine Ungerechtigkeit bauen. Wenn der Militarismus dazu diente, den Unrat daheim zu bekämpfen, so wäre ich Patriot. Wenn er die, die nicht taugen, assentierte, wenn er Krieg führte, um den Menschendreck an die feindliche Macht abzutreten, wäre ich Militarist! Aber er opfert den Wert und verschafft dem Abhub die Glorie, und er macht ihn, wenn's selbst außen schief geht, immer noch zum Sieger über die eigene Macht. Nur diese Aussicht kann die Geduld, mit der der Menschheitshaufe eine Naturinsulte wie die allgemeine Wehrpflicht erträgt, überhaupt erklären. Der Unrat weiß, daß er selbst die Idee ist, für die er kämpft, und in dieser Gewißheit kämpft er sogar für das Vaterland, das ihm ursprünglich und letztlich eine fremde Idee ist, auch wenn alle Fibelideologie am Werk wäre, sie ihm täglich einzubleuen. Müßten sie sonst nicht doch einmal den Zwang, für eine fremde Idee zu sterben, als eine Leibeigenschaft empfinden, die tausendmal drückender ist als der reaktionärste Inbegriff des verfluchten Zarismus? Es ist aber schließlich und endlich doch die eigene Idee. Würden Menschen, die nie die Privilegien des militärischen Berufs genossen haben, sich sonst dazu zwingen lassen, dessen Gefahren zu teilen? Sich vom eigenen Beruf, von Erwerb und Familie losreißen lassen, um erst in Kasernen getreten zu werden und hierauf für die Erhaltung der Bukowina zu sterben? Daß sie, wenn sie sich weigerten, für die Bukowina zu sterben, schon vorher totgeschossen würden, ist ja ein unmittelbarer Beweggrund, der einzelweis vollkommen zur Erklärung hinreicht. Aber die Einrichtung hätte nicht entstehen können, wenn die Quantität nicht wüßte, daß sie, scheinbares Opfer autokratischer Gelüste, schließlich doch den Sieg über den Sieger davon trägt. Sie sehen, auch ich bin ein Optimist. Ich kann mich nicht entschließen, die Menschheit für eine so ganz hoffnungslose Kanaille zu halten, daß sie einem fremden Willen zuliebe sich in Not und Tod und so viel Kot begibt.

Der Optimist: Der erhöhte Zustand, den der Ruf des Vaterlandes herbeiführt, ist aber denn doch eine bessere Erklärung als Zwang oder Vorteil.

Der Nörgler: Das Vaterland? Wohl, dieser Rufer hat unter allen Regisseuren noch immer die stärkste Suggestion für sich. Aber der Rausch, der die allgemeine Wehrlosigkeit einlullt, würde seine Wirkung auf die wachere Intelligenz verfehlen, wenn nicht hier das Gefühl mitwirkte, daß ein Sieg gerade sie zum Herrn des Lebens erhebt.

Der Optimist: Aber noch nicht der Krieg.

Der Nörgler: Da erspart sie sich bloß Denkarbeit, da kann sie einmal ausspannen. Sie braucht sich den Kopf nicht zu zerbrechen, ehe der Feind es ihr besorgt, was sich vorzustellen sie nicht mehr genug Phantasie hat. Denn der Krieg verwandelt das Leben in eine Kinderstube, in der immer der andere angefangen hat, immer der eine sich der Verbrechen rühmt, die er dem andern vorwirft, und in der die Rauferei die Formen des Soldatenspiels annimmt. Wenn Krieg ist, lernt man das Soldatenspiel der Kinder gering schätzen. Es ist eine viel zu frühe Vorbereitung auf die Kinderei der Erwachsenen.

Der Optimist: Das Soldatenspiel der Kinder empfängt jetzt im Gegenteil neue Anregungen. Kennen Sie das Spiel »Wir spielen Weltkrieg«?

Der Nörgler: Es ist die ebenso gemeine Kehrseite des Ernstes: Wir spielen Kinderstube. Dieser Menschheit wäre zu wünschen, daß ihre Säuglinge mit Erfolg anfangen, einander auszuhungern oder mit Bomben zu belegen, jedenfalls den Ammen die Kundschaft abzutreiben.

Der Optimist: Wenns nach Ihnen ginge, wäre die Menschheit schon vor einem Weltkrieg auf den Aussterbeetat gesetzt. Aber Gott sei Dank ist sie rüstig –

Der Nörgler: Sie meinen: gerüstet-

Der Optimist: Sie entwickelt sich von Generation zu Generation. Sie haben von fünf Seiten bei Jean Paul gesprochen, die heute nicht mehr geschrieben werden können. Ich denke aber, daß die Erfindung des Grafen Zeppelin Deutschland keineswegs um die Möglichkeit gebracht hat, Dichter hervorzubringen. Es gibt auch heute noch Dichter, die nicht zu verachten sind.

Der Nörgler: Ich tue es dennoch.

Der Optimist: Und gerade jetzt, im Krieg, hat die deutsche Dichtung einen belebenden Impuls empfangen.

Der Nörgler: Sie hätte lieber Ohrfeigen empfangen sollen.

Der Optimist: Sie sagen Derbheiten, aber nicht Wahrheiten. Wie immer Sie über den Krieg denken mögen, die Schöpfungen unserer Dichter haben etwas von dem Feueratem übernommen, mit dem diese große Zeit nun einmal über den Alltag hinweggefegt ist.

Der Nörgler: Zwischen dem Feueratem und dem Alltag hat sich sofort eine Gemeinschaft ergeben – die Phrase, die unsere Dichter, anschmiegsam wie sie sind, sofort übernommen haben. Sie sind pünktlicher eingeschnappt, als es die verblüffte Kundschaft verlangt hätte. Die deutschen Dichter! Sie sind ein geübter Optimist, aber Ihr Optimismus würde schon in Frozzelei ausarten, wenn Sie mir diese Schöpfungen als einen Beweis für die Größe der Zeit rekommandieren wollten. Ich mache immerhin noch den Unterschied einiger sittlichen Grade zwischen armen Philistern, die der Zwang aus dem Büro in den Schützengraben ruft, und elenden Schmierern, die daheim mit Entsetzen Ärgeres treiben als Spott, nämlich Leitartikel oder Reime,indem sie eine Gebärde aus zehnter Hand, die schon in der ersten falsch war, und einen Feueratem aus dem Mund der Allgemeinheit zu einer schnöden Wirksamkeit verarbeiten. Ich habe in diesen Schöpfungen keine Zeile gefunden, von der ich mich nicht schon in Friedenszeiten mit einem Gesichtsausdruck abgewandt hätte, der mehr auf Brechreiz als auf das Gefühl schließen ließe, an einer Offenbarung teilzuhaben. Die einzige würdige Zeile, die ich zu Gesicht bekommen habe, steht im Manifest des Kaisers, die ein feinfühliger Stilist zustandegebracht haben muß, der sich in ein angenommenes Alterserlebnis versenkt hat. »Ich habe alles reiflich erwogen«. Die Zeit, die erst kommen wird, wird ja noch besser als die bereits mitgemachte zeigen, daß einer noch reiflicheren Erwägung die Abwendung dieses unaussprechlichen Grauens geglückt wäre. Aber so wie die Zeile dasteht, isoliert, wirkt sie wie ein Gedicht, und vielleicht erst recht, wenn man einen Gedankengang als ihren Hintergrund setzt. Schauen Sie, hier – von dieser Säule können Sie's noch auf sich wirken lassen.

Der Optimist: Wo?

Der Nörgler: – Ach schade, gerade der Teil des Manifestes, wo die Zeile steht, ist vom Gesicht des Wolf in Gersthof verdeckt. Sehn Sie, das ist der wahre Tyrtäus dieses Kriegs! Und nun erst ist's ein Gedicht.

Der Optimist: Ich kenne Ihre übertreibende Perspektive. Für Sie gibt es keinen Zufall. Und doch ist der Wolf in Gersthof, der mir ja selbst nicht ans Herz gewachsen ist –

Der Nörgler: Wirklich nicht?

Der Optimist: – und doch ist es nur ein Reklameplakat wie ein anderes, ein altes noch dazu, das eben vor dem Krieg angefertigt wurde. Der Raum ist nun einmal gemietet, kann sein, das Lokal ist auch noch im Betrieb, ich weiß das nicht, über Nacht kann sich das nicht ändern, das alles ist Oberfläche, aber ich bin überzeugt –

Der Nörgler: Natürlich sind Sie überzeugt.

Der Optimist: – jawohl, daß die Wiener, die ja doch wirklich über Nacht ein ernstes Volk geworden sind und wie die Presse so richtig gesagt hat, »weit entfernt von Hochmut und von Schwäche« den Ernst der Situation erfaßt haben, ich bin überzeugt, daß sie über ein Jahr nicht mehr Lust haben werden, solche Dinge mitzumachen, ob nun der Krieg bis dahin zu Ende sein wird oder nicht. Davon bin ich, jawohl, überzeugt!

Der Nörgler: Sehen Sie, ich habe gar keine Überzeugungen und ich halte es für ganz egal, ob es so sein wird oder nicht und ob man es billigt oder, wie Sie, tadelt, wenn eine Hetz fortginge. Eher würde ich es im Gegensatz zu Ihnen billigen.

Der Optimist: Dann verstehe ich Sie nicht.

Der Nörgler: Davon, sehen Sie, bin ich überzeugt, nur davon, daß es darauf nicht ankommt. Aber ich sage: Über ein Jahr wird der Wolf in Gersthof, der keine Singspielhalle, sondern ein Symbol ist, den Anforderungen der großen Zeit entsprechend noch größer geworden sein und wird an allen Straßenecken alles verdecken, die Zeile: »Ich habe alles reiflich erwogen« und alles andere, was sonst neben und unter ihm noch Platz hatte, und er wird die wahre Perspektive eines falschen Lebens herstellen. Und aber über ein Jahr werden, wenn draußen eine Million Menschen begraben ist, die Hinterbliebenen dem Wolf in Gersthof ins Auge schauen, und in diesem Antlitz wird ein blutiger Blick sein wie ein Riß der Welt, darin man lesen wird, daß die Zeit schwer ist und heute großes Doppelkonzert!

Der Optimist: Es schneidet einem ins Herz, Sie so sprechen zu hören – das heißt doch wirklich, eine Zeit, die selbst dem Kurzsichtigsten groß erscheinen muß, mit Absicht klein zu sehn. Wenn uns diese Zeit eines gebracht hat, so ist es die Erledigung Ihrer Perspektive.

Der Nörgler: Das walte Gott!

Der Optimist: Gebe er Ihnen größere Gedanken. Vielleicht wachsen sie Ihnen morgen, in Mozarts Requiem, gehn Sie mit mir hinein, der Reinertrag fließt der Kriegsfürsorge zu –

 

Der Nörgler: Nein, mir genügt das Plakat – da gleich neben dem Wolf in Gersthof!

 

Aber was ist das für eine sonderbare Zeichnung? Ein Kirchenfenster? Wenn mich meine Kurzsichtigkeit nicht betrügt – ein Mörser! Ist es möglich? Ja, wem ist es denn gelungen, die beiden Welten unter einen Hut zu bringen? Mozart und Mörser! Welch ein Konzertarrangement! Wer verbindet so glücklich?! Nein, man muß darüber nicht weinen. Sagen Sie nur, ob in der Kultur der Senegalneger, die der Feind gegen uns zu Hilfe gerufen hat, solch ein Gottbetrug möglich wäre! Sehen Sie, das ist der Weltkrieg gegen uns.

Der Optimist (nach einer Pause): Ich denke, Sie haben recht. Aber weiß Gott, das sehen nur Sie. Unsereinem entgeht es und man sieht darum die Zukunft in rosigem Licht. Sie sehen es und darum ist es da. Ihr Auge ruft es herbei und sieht's dann.

Der Nörgler: Weil es kurzsichtig ist. Es gewahrt die Konturen, und Phantasie tut das übrige. Und mein Ohr hört Geräusche, die andere nicht hören, und sie stören mir die Musik der Sphären, die andere auch nicht hören. Denken Sie darüber nach, und wenn Sie dann noch nicht von selbst zu einem Schluß kommen, so rufen Sie mich. Ich unterhalte mich gern mit Ihnen, Sie sind ein Stichwortbringer für meine Monologe. Ich möchte mit Ihnen vor das Publikum. Jetzt kann ich diesem nur sagen, daß ich schweige, und wenn möglich, was ich schweige.

Der Optimist: Was etwa?

Der Nörgler: Etwa: Daß dieser Krieg, wenn er die Guten nicht tötet, wohl eine moralische Insel für die Guten herstellen mag, die auch ohne ihn gut waren. Daß er aber die ganze umgebende Welt in ein großes Hinterland des Betrugs, der Hinfälligkeit und des unmenschlichsten Gottverrats verwandeln wird indem das Schlechte über ihn hinaus und durch ihn fortwirkt, hinter vorgeschobenen Idealen fett wird und am Opfer wächst! Daß sich in diesem Krieg, dem Krieg von heute, die Kultur nicht erneuert, sondern sich durch Selbstmord vor dem Henker rettet. Daß er mehr war als Sünde: daß er Lüge war, tägliche Lüge, aus der Druckerschwärze floß wie Blut, eins das andere nährend, auseinander-strömend, ein Delta zum großen Wasser des Wahnsinns. Daß dieser Krieg von heute nichts ist als ein Ausbruch des Friedens, und daß er nicht durch Frieden zu beenden wäre, sondern durch den Krieg des Kosmos gegen diesen hundstollen Planeten! Daß Menschenopfer unerhört fallen mußten, nicht beklagenswert weil sie ein fremder Wille zur Schlachtbank trieb, sondern tragisch, weil sie eine unbekannte Schuld zu büßen hatten. Daß für einen, der das beispiellose Unrecht, welches sich noch die schlechteste Welt zufügt, als Tortur an ihm selbst empfindet – daß für ihn nur die eine letzte sittliche Aufgabe bleibt: mitleidslos diese bange Wartezeit zu verschlafen, bis ihn das Wort erlöst oder die Ungeduld Gottes.

Der Optimist: Sie sind ein Optimist. Sie glauben und hoffen, daß die Welt untergeht.

Der Nörgler: Nein, sie verläuft nur wie mein Angsttraum, und wenn ich sterbe, ist alles vorbei. Schlafen Sie wohl!

 

(Seht dies Plakat, das Mozarts Requiem anzeigt.

Täuscht mich mein Auge nicht - so ist's ein Mörser!

Ein Kirchenfenster ist es nicht; seit Mörser

beschäftigt sind, gibts keine Kirchenfenster.

Zur Aufführung paßt wohl das Kirchenfenster;

dem Zweck, dem das Erträgnis zugedacht ist,

dem wohltätigen Zweck dient wohl der Mörser.

Das Ornament hat hier genug Verstand,

zwei Deutungen zur Auswahl zuzulassen:

die fromme für den wahrhaft frommen Zweck

und für den Zweck, dem jedes Mittel heilig,

die aktuelle. Ich entscheide mich

für die. Kein Zweifel, jene ist ein Vorwand,

die Wahrheit diese nur. Kein Gegenstand,

der nicht die Form des Mörsers heute hat.

Bonbonnieren, Hüte, Sammelbüchsen,

alles ist Mörser. Heute trägt man nur

den Mörser und sogar das liebe Leben

geht wie ein Mörser auf das Leben los,

auf alle Schöpfung, auf den Schöpfer selbst.

Kein Zweifel, dies Plakat, es ist ein Mörser!

Mozart und Mörser! Wer hat diese Welten

vereinigt, wer hat es vermocht, wer rühmt sich?

"Zu haben beim Buchhändler Hugo Heller."

Der Händler, gleich entfernt von beiden scheinbar,

dem Mörser näher. Seht, er triffts; er machts.

Oh wendet euch nicht ab, ertragt den Anblick,

die Zeit ist schwer, doch groß; drum haltet durch!

Freut euch, daß einer für den lieben Gott

endlich die richtige Aufmachung besorgt hat.

Nein, keine Thränen! Noch hat die Kultur

ja Aussicht. Bei den Zulunegern, die

der Feind uns und Europens edler Sitte

zu schicken wagte, wäre es unmöglich,

wär' die Vermischung, wär' die Barbarei,

wär' solcher Gottbetrug ein Ding des Abscheus.

Sie weinten zu der himmlischen Musik

und glaubten immer noch, es sei von Mozart,

nicht von dem Mörser, nicht von dem und jenem,

von beiden nicht, weil das unmöglich sei,

weil nur der Teufel diese List erfand,

den Himmel mit der Hölle anzuschwärzen,

weil Mozart schweigt, sobald ein Mörser singt,

kein Mörser schweigt, wenn Mozart wird gesungen,

und weinten zu dem Requiem Europas,

und glaubten immer noch, es sei von Mozart.)