1-5. Szene                                                                                                                                                                                                 Am Ballhausplatz

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(Anm. Am 23. Juli 1914 veröffentlicht die Regierung Österreich-Ungarns ein Ultimatum an Serbien, das konkrete Forderungen enthält, um eine Eskalation zu verhindern. Aussenminister Leopold Graf Berchtold hat jedoch bereits den Gesandten in Belgrad instruiert: „Wie immer die Serben reagieren – Sie müssen die Beziehungen abbrechen und abreisen; es muss zum Krieg kommen“. Das Ultimatum wird am 23. Juli in Belgrad übergeben. Vor allem der sechste Punkt, der eine Mitwirkung österreichischer Beamten bei der Aufklärung des Attentates auf serbischem Territorium vorsieht, ist so formuliert, dass eine Ablehnung Serbiens unumgänglich ist. Denn eine Annahme verletzt Serbiens Souveränität. Am 25. Juli trifft fristgerecht die serbische Antwort ein, in der unerwartet der Großteil der Forderungen akzeptiert wird; lediglich der sechste Punkt betreffend die Ermittlungen österreichischer Beamter auf serbischem Hoheitsgebiet wird abgelehnt. Die anschliessende, ablehnende Reaktion von Außenminister Berchtold bezüglich weiterer Verhandlungen macht offenkundig, dass das Ultimatum gar nicht angenommen werden sollte.

Bei der ungarisch-serbischen Grenzgemeinde Temes-Kubin hätten laut Immediatsbericht des Außenministers Berchtold an Kaiser Franz-Josef angeblich serbische Truppen österreichische Truppen beschossen und „auf die Erwiderung des Feuers hin“ hätte sich „ein größeres Geplänkel“ entwickelt; diesen Zwischenfall hat es jedoch nie gegeben, Berchtold hat diese Passage dann sogar nachträglich aus der Kriegserklärung gestrichen; sein Bericht an den Kaiser ist der Anlass für die Kriegserklärung Österreichs an Serbien. Bei Kriegsbeginn verbreiten auch deutsche Zeitungen die Falschmeldung, dass französische Flieger am 2. August 1914 in der Umgebung von Nürnberg Bomben abgeworfen hätten.)

 

Graf Leopold Franz Rudolf Ernest Vinzenz Innozenz Maria, Baron Eduard Alois Josef Ottokar Ignazius Eusebius Maria / Stimme des Außenministers Leopold Graf Berchtold der das Ultimatum an Serbien formulierte

Graf Leopold Franz Rudolf Ernest Vinzenz Innocenz Maria: Das Ultimatum (an Serbien) war prima! (Ganz prima!) Endlich, endlich!

Baron Eduard Alois Josef Ottokar Ignazius Eusebius Maria: Foudroyant (niederschmetternd xxx)! No aber auf ein Haar hätten sie's angenommen (die Serben).

Der Graf: Das hätt mich rasend agassiert (geärgert). Zum Glück hab'n wir (noch) die zwei Punkterln drin ghabt, unsere Untersuchung (des Attentats) auf serbischem Boden (unter Mitwirkung österreichischer Beamter) und so („Die k. serbische Regierung verpflichtet sich, eine gerichtliche Untersuchung gegen jene Teilnehmer des Komplotts vom 28. Juni einzuleiten, die sich auf serbischem Territorium befinden; von der k. und k. Regierung hierzu delegierte Organe werden an den bezüglichen Erhebungen teilnehmen.“) – na dadrauf sinds halt doch nicht (rein)geflogen. Haben 's sich selber zuzuschreiben jetzt, die Serben.

Der Baron: Wann mans recht bedenkt – wegen zwei Punkterln – und also wegen so einer Bagatell is der Weltkrieg ausgebrochen! Rasend komisch eigentlich.

Der Graf: Dadrauf hab'n wir doch nicht verzichten können, daß wir die zwei Punkterln verlangt hab'n. Warum hab'n sie sich kapriziert, die Serben, daß sie die zwei Punkterln nicht angnommen haben?

Der Baron: No das war ja von vornherein klar, daß sie das nicht annehmen wern.

Der Graf: Das hab'n wir eben vorher gewußt. Der (Aussenminister) Poldi Berchtold is schon wer, da gibts nix. Da is auch nur eine Stimme in der Gesellschaft. Enorm! Ich sag dir – ein Hochgefühl! Endlich, endlich! Das war ja nicht mehr zum Aushalten. Auf Schritt und Tritt war man gehandicapt. No, das wird jetzt ein anderes Leben wern! Diesen Winter, stantepeh nach Friedensschluß, fetz ich mir die Riviera heraus.

Der Baron. Ich wer schon froh sein, wenn wir uns die Adria herausfetzen.

Der Graf: Mach keine Witz. Die Adria ist unser. Italien wird sich (doch) nicht rühren. Ich sag dir, also nach Friedensschluß –

Der Baron: No, wann glaubst wird Frieden sein?

Der Graf: In zwei, allerspätestens drei Wochen schätz ich.

Der Baron: Daß ich nicht lach.

Der Graf: No was denn, mit Serbien wern wir doch spielend fertig, aber spielend, mein Lieber – wirst sehen, wie gut sich unsere Leute schlagen (wern). Schon allein die Schneid von unsere Sechser-Dragoner! Ein paar von der Gesellschaft soll'n (sogar) schon direkt an der Front sein, du! No und unsere Artillerie – also prima. Rasend präzis arbeitend!

Der Baron: No und Rußland?

Der Graf: Der Ruß wird froh sein, wenn er a Ruh hat. (Glaub mir das!) Verlaß dich auf'n (Generalstabschef) Conrad (von Hötzendorf), der weiß schon, warum er sie in Lemberg hineinlaßt. Wenn wir erst in Belgrad sind, wendet sich das Blatt. Der (Oberbefehlshaber der Balkanstreitkräfte) Potiorek is prima! Ich sag dir, die Serben gehn rasend ein. Alles andere macht sich automatisch.

Der Baron: No, wann glaubst also im Ernst –

Der Graf: In drei, vier Wochen is Frieden.

Der Baron: Du warst immer ein rasender Optimist.

Der Graf: No also bitte, wann?

Der Baron: Vor zwei, drei Monat (gar) nicht zu machen! Wirst sehn. Wenns gut geht, in zwei. Da muß 's aber schon sehr gut gehn, mein Lieber!

Der Graf: No da möcht ich doch bitten – das wär aber schon grauslich fad. Das wär aber charmant, du! Ginget ja schon wegen der Ernährung nicht. Neulich hat mir die (Anna) Sacher gsagt – Also du glaubst doch nicht, daß sich das mit die Ernährungsvorschriften halten wird? Sogar beim Demel fangen s' schon an mit'n Durchhalten – das sind ja charmante Zustände – man schränkt sich ohnedem ein, wo man kann, aber auf die Dauer – Lächerlich, gibts nicht! Oder meinst?

Der Baron: Du kennst ja meine Ansicht. Ich halt nicht viel vom Hinterland. Wir sind schließlich keine Piffkes, wenn wir auch gezwungen sind, mit ihnen – erst gestern sprich ich mit dem Putzo Wurmbrand, weißt, der was die Maritschl Palffy hat, er is doch die rechte Hand vom (Kriegsminister) Krobatin, also ein Patriot, prima – sagt er, wann man einen Verteidigungskrieg anfangt – verstehst, der hat sich das nämlich speziell entetiert (in den Kopf gesetzt), das mit'n Verteidigungskrieg –

Der Graf: No – bitte – is es vielleicht kein Verteidigungskrieg? Du bist ein Hauptdefaitist, hör auf! In welcher Zwangslage wir waren, hast du schon vergessen, daß wir soit disant (sozusagen) gezwungen waren zum Losschlagen wegen dem Prestige und so – also das kommt mir vor – erlaub du mir – hast die Einkreisung vergessen? – erst gestern sprich ich mit dem Fipsi Schaffgotsch, der, wo sie eine Bellgard' is, weißt, er is bißl gschupft, aber ausgesprochen sympathisch – also was hab ich sagen woll'n – ja – also waren wir vielleicht nicht gezwungen, uns von die Serben bei Temes-Kubin angreifen zu lassen (die serbischen Truppen haben doch von Donaudampfern aus österreichische Truppen beschossen, oder vielleicht nicht?), um –

Der Baron: Wieso? (Das glaubst doch nicht wirklich!)

Der Graf: Wieso? Geh, stell dich nicht – also du weißt doch selber am besten, daß der serbische Angriff bei Temes-Kubin (für die Kriegserklärung) notwendig war – ich mein', wir hab'n doch losschlagen müssen –

(»Einer Meldung zufolge haben serbische Truppen von Donaudampfern bei Temes-Kubin unsere Truppen beschossen und es entwickelte sich ein größeres Geplänkel. Die Feindseligkeiten sind hiermit tatsächlich eröffnet worden und es erscheint daher geboten, der Armee jene Bewegungsfreiheit zu sichern, welche sie nur bei Eintritt des Kriegszustandes besitzt.«)

Der Baron: No das selbstredend!

Der Graf: No also, hätt man das sonst nötig? Grad so wie die Deutschen mit die (erfundenen französischen) Bomben auf Nürnberg! (bei Kriegsbeginn verbreiteten deutsche Zeitungen die Falschmeldung, dass französische Flieger am 2. August 1914 in der Umgebung von Nürnberg Bomben abgeworfen hätten.) Also – erlaub du mir – also wenn das kein Verteidigungskrieg is, du!

Der Baron: Aber bitte, hab ich was gsagt? Du weißt, ich speziell war von allem Anfang für die Kraftprobe, notabene wann s' eh die letzte is. Der Ausdruck dafür is mir putten (völlig gleichgültig). Verteidigungskrieg – das klingt rein so, als ob man sich so gwiß entschuldigen müßt. Krieg is Krieg, sag ich.

Der Graf: No ja, da hast recht. Was, der Poldi Berchtold! (Unser Aussenminister!) Er is und bleibt ein rasend fescher Bursch. Da kann man sagen, was man will. Oho, auch zu unserm Gschäft ghört Schneid, und die muß man ihm lassen! Wie er den Herrschaften (zum Immediatvortrag an den Kaiser) nach Ischl ausgrutscht is – die hätten womöglich noch das Ultimatum verhindern wolln! Er aber (fahrt einfach hin, zum Kaiser) – also das war enorm! Ein Treffer nach'm andern!

Der Baron: Epatant (famos)! Hätt nicht geglaubt, daß 's ihm so gelingen wird (die Kriegserklärung durchzusetzen). Er haltet sich die Leut vom Leib. Dem Poldi Berchtold seine Politik war schon bei der Reduzierung (der Gäste) vom Begräbnis (vom Thronfolger) zu spüren, wie er den russischen Großfürsten ausgeschaltet hat.

Der Graf: Natürlich. Daß sich dann Rußland doch hineingemischt hat, war nicht seine Schuld. Wann 's nach ihm gegangen wär', wär' der Weltkrieg auf Serbien lokalisiert (beschränkt) geblieben. Weißt, was der Poldi Berchtold hat? (Als Aussenminister?) Der Poldi Berchtold hat das, was ein Diplomat in einem Weltkrieg vor allem haben muß: savoir vivre (Lebensart)! Das hat mir rasend imponiert, wie er den Vorschlag von die englischen Pimpfe einfach zwischen die Rennprogramm steckt – also daß wir Belgrad mit ihrer gütigen Erlaubnis besetzen soll'n – heuchlerische Söldnerbande das – und wie er drauf in den Klub hinaufkommt, weißt noch, schaut uns so gwiß an und sagt: Jetzt hat die Armee ihren Willen! Damals war er dir montiert (in einer Stimmung, sag ich Dir), du! Das wirst du mir zugeben – eine Kleinigkeit war das nicht, nämlich in so einer schicksalsschweren Stunde –

(Man hört aus dem Nebenzimmer ein Klingeln und hierauf)

Die Stimme Berchtolds: Aähskaffee!

(Man hört eine Tür schließen.)

Der Baron: Also bitte – um halb zwölf! Also bitte – um halb zwölf verlangt er schon seinen Eiskaffee! Nein, das tentiert (berührt? xxx) mich, daß ich einmal – also bitte, da muß ich schon sagen – Eiskaffee is wirklich seine starke Seite!

Der Graf: Das is vielleicht die einzige Schwäche, die er hat! Er adoriert Eiskaffee! Aber das muß man auch zugeben, der Eiskaffee vom Demel – also ideal!

Der Baron: Du, eine Sonne is heut draußen – also prima!

Der Graf (öffnet ein Kuvert des Korrespondenzbüros und liest): (schau, was die schreiben:) – »Noch ist Lemberg in unserem Besitze.«

Der Baron: No also!

Der Graf: Der Poldi Berchtold – verstehst du (indem er den weiteren Text der Nachricht murmelt) – zurückgenommen – ach was, immer dasselbe – agassant (ärgerlich) – wachst einem schon zum Hals heraus – (zerknüllt das Papier) – was ich sagen wollte – je länger ich die Situation überlege – alles in allem – heut könnt man mit der Steffi (sogar) draußen soupieren. (Kommst mit?)