1-6. Szene                                                                                                                                   Vor einem Friseurladen in der Habsburgergasse

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(Anm. Am 3. August 1914 soll ein Friseur in der Habsburgergasse gegenüber einem Kunden eine Österreich-feindliche Äußerung gemacht haben. Der Leute bemächtigte sich die allergrößte Erbitterung, in den nächsten Minuten waren von der entrüsteten Menge die Fenstertafel des Friseurgeschäf­tes zertrümmert. Das Portal, die Firmenschilder, ja sogar die messingenen Seifenschüsseln, das Zeichen des Raseurs, wurden zerschlagen. Der Besitzer selbst, der auf der Straße stand, wurde von den Leuten angegriffen und mißhandelt. Rasch war die Sicherheitswache herbeigeeilt und entriß den zu Tode erschro­ckenen Friseur den Händen der aufgeregten Menge, die den Akt der Lynchjustiz fortgesetzt hätte.)

Menschenmenge, drei Stimmen aus der Menge, Geigenhändler, Friseur, die österreichischen Historiker Heinrich Friedjung und Carl B. Brockhausen

Eine Menschenmenge in größter Erregung.

Die Menge: Nieda! Hauts alles zsamm!

1. aus der Menge (der zu beschwichtigen sucht): Aber Leutln, der Mann hat ja nix tan! Der Geigenhändler von nebenan, der is sein Feind –

Der Geigenhändler (haranguiert die Menge): Er is ein Serb! Er hat sich eine Äußerung zuschulden kommen lassen. Gegen eine hochstehende Persönlichkeit! Ich habs eigenhändig ghört!

Der Friseur (die Hände ringend): Ich bin unschuldig – ich bin Hoffriseur – wo wird mir denn einfallen –

2. aus der Menge: Das siacht ma ja schon am Namen, daß er ein Serb is, hauts eahm die Seifenschüsseln übern Schädel –

3. aus der Menge: Seifts'n ein! Nieda! Nieda mit dem serbischen Gurgelabschneider!

Die Menge: Niedaa –!

(Das Lokal wird zertrümmert.)

 (An der Ecke tauchen die Historiker Friedjung und Brockhausen im Gespräch auf.)

Brockhausen: Just heute habe ich in der (Neuen Freien) Presse eine treffende Anmerkung zu diesem Thema beigesteuert, die mit zwingender Logik einen Vergleich unseres Volkes mit dem französischen oder englischen Gesindel von vornherein ablehnt. Vielleicht können Sie den Passus für Ihre (eigene historische) Arbeit brauchen, Herr Kollega, ich stelle ihn zu Ihrer Verfügung, hören Sie:

»Was den historisch Gebildeten als aller geschichtlichen Weisheit letzter Schluß tröstend und aufrichtend beseelte, daß nämlich niemals der Barbarei ein endgültiger Sieg beschieden sein kann, das teilte sich instinktiv der großen Menge mit. In den Wiener Straßen hat sich allerdings nie das schrille Johlen eines billigen Hurrapatriotismus vernehmbar gemacht. Hier flammte nicht das vergängliche Strohfeuer der Eintagsbegeisterung auf. Dieser alte deutsche Staat hat seit Kriegsbeginn sich die schönsten deutschen Volkstugenden zu eigen gemacht: das zähe Selbstvertrauen und die tiefinnere Gläubigkeit an den Sieg der guten und gerechten Sache. (Die Fahnen, die heute von allen Dächern wehen, die buntfarbenen Wimpel, welche die Wohnungsfenster und die Geschäftsportale schmücken, jubeln es in alle Welt, daß unser Glaube nicht irregegangen ist, daß unsere Hoffnung nicht zuschanden wurde.)«

(Er überreicht ihm den Ausschnitt (aus der »Neuen Freien Presse“)

Friedjung: Fürwahr, eine treffliche Ansicht, Herr Kollega, die geradezu den Nagel abschießt und den Vogel auf den Kopf trifft. Ich werde es ad notam nehmen. Ei sieh – da hätten wir ja gleich ein Beispiel! Eine patriotisch durchglühte Menge, die in maßvoller Weise ihren Gefühlen Ausdruck gibt, suaviter in re, fortiter in modo (Verkehrung von „stark in der Sache, milde in der Art“), wie's der Wiener Tradition geziemt. Der unmittelbare Anlaß dürfte wohl darin zu suchen sein, daß es die (wir uns in der Nähe der) Habsburgergasse (befinden) ist. Das treuherzige Völkchen wollte offenbar dem (kaiserlichen) Namen eine geziemende Huldigung darbringen, wie sie eben im Zeitalter (Kaiser) Leopolds füglich in der Babenbergerstraße demonstriert hätten.

Brockhausen (stutzend): Es will mich aber denn doch bedünken –

Friedjung (stutzend): Es ist doch merkwürdig –

Brockhausen: Die guten Leutchen sind ja recht laut –

Friedjung: Jedenfalls lauter, als es der Tradition geziemt –

Brockhausen: Man darf den gerechten Anlaß ihrer Erregung nicht übersehen. Wie sagt doch –

Friedjung: Seit dem Tage, da unser erhabener Monarch Tausende und Abertausende unserer Söhne und Brüder zu den Waffen rief, scheint es in der Tat mächtig unter dem Völkchen am Nibelungenstrome zu gären. Allein, wenn sich der Most auch noch so absurd gebärdet –

Brockhausen: Vorbei die Zeiten, wo sie sich Phäaken (ein glückliches, den Genuß liebendes Volk) nannten. „Der sausende Webstuhl der Zeit (wirkt der Gottheit lebendiges Kleid)“ –

Friedjung: Ei sieh, vermutlich wollen sie alle in jenen Barbierladen, es ist ein Hoffriseur und das naive Volksgemüt denkt wahrscheinlich –

Rufe aus der Menge:

Den hammer trischackt!

Rrrtsch – obidraht!

Serbischer Hund vardächtiga!

Jetzt'n kann er die Serben mit die Scherben rasiern!

Den Schwamm bring i meiner Alten!

Alle Parfüms hab i g'rettet!

Gib her a paar!

Jessas, der scheene weiße Mantel!

Geh, leich mr a Spritzflaschl!

Gott strafe England!

Der Kerl is uns ausgrutscht!

Der Geigenhändler: Hab ichs euch nicht g'sagt! Das ist ein Hochverräter ist das!

Brockhausen: Die Menge ist erregt und wähnt mit Recht, wieder einmal den Umtrieben serbischer Hochverräter auf der Spur zu sein.

Friedjung: Es ist doch merkwürdig, welch feine Witterung das Volk gegenüber einem Anschlag auf den unversehrten Besitzstand der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder hat. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn sich bei diesem Friseur nicht die Dokumente über jene großserbische Verschwörung des (der kroatischen Zeitung) „Slovensky Jug“ vorfinden sollten, der ich schon im Jahre 1908 auf die Spur gekommen bin.

Brockhausen: Etwas bedenklich bedünkt mich nur die Form.

Die Menge: Suchts eahm! Hauts eahm! Nieda mit Serbieen!

Friedjung: Es wäre vielleicht doch angezeigt, Herr Kollega, diesem offenbaren Widerspruch zu der historisch beglaubigten Tatsache, daß die Wiener Bevölkerung dem »schrillen Johlen eines billigen Hurrapatriotismus« abgeneigt ist, angesichts dieses mit Recht erregten Geigenhändlers in weiterem Bogen auszuweichen.

Rufe aus der Menge:

Was wolln denn die zwa Juden do?

Die schaun aa so aus wie zwa vom Balkan!

Fehlt ihnen nur der Kaftan!

Serben sans!

Zwa Serben!

Hochverräter!

Hauts es!

(Die beiden Historiker verschwinden in einem Durchhause.)