1-7. Szene                                                                                                                Kohlmarkt. Vor der Drehtür am Eingang zum Café Pucher

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(Anm. Das Kriegspressequartier wurde mit Beginn des Weltkriegs am 28. Juli 1914 gegründet. Seine Aufgabe war die Koordination aller Presseinformationen und Propagandatätigkeiten von Österreich-Ungarn während des Ersten Weltkrieges unter Einbeziehung sämtlicher damals verfügbarer Massenmedien. Insgesamt waren im Verlauf des Krieges 550 Künstler und Journalisten als Mitglieder des k.u.k. Kriegspressequartiers tätig.)

Der alte Biach (Symbol für eine von der Presse verblödete Menschheit, Prototyp des Zeitungslesers und die Fleisch gewordene Phrase der Leitartikel der Neuen Freien Presse), Kaiserlicher Rat, Kompagnon, Doktor, Nörgler, Kurzwarenhändler

Der alte Biach (sehr erregt): Das einfachste wär, man würde werfen fünf Armeekorps gegen Rußland, wäre die Sache schon erledigt.

Der kaiserliche Rat: Selbstredend. Der Hieb ist die beste Parade. Man muß sich nur die Deitschen anschaun, wie sie geleistet haben. Ein Elaan! So etwas wie der Durchbruch durch Belgien (bis hinein nach Frankreich) war noch nicht da! So etwas braucheten wir.

Der Kompagnon: Sagen Sie was is also mit Ihrem Sohn?

Der kaiserliche Rat: Enthoben (vom Militärdienst befreit natürlich), eine Sorg weniger. Aber die Situation – die Situation – glauben Sie mir, es steht nicht gut oben. So etwas wie der Durchbruch durch Belgien – ich sag Ihnen, einen frischen Offensivgeist –

Der Kompagnon: Verschaffen Sie uns Belgien her – wern mr auch durchbrechen.

Der Doktor: Einen Bismarck brauchten wir –

Der alte Biach: Was hilft jetzt die Kunst der Diplomaten, jetzt sprechen die Waffen! Können wir uns einem Escheck (Misserfolg) aussetzen? Wenn wir nicht jetzt durchbrechen –

Der Nörgler (will in das Lokal): Pardon –

Der Doktor: Das leuchtet mir ein. Aber das strategische Moment, das im Bewegungskrieg den Flankenangriff –

Der Kurzwarenhändler: Also verlassen Sie sich darauf, sie (die Gegner) sind umzingelt, die Soffi Pollak hat es selber gesagt.

Der alte Biach: Lassen Sie mich aus, sie weiß! Woher, möcht ich wissen!

Der Kurzwarenhändler: Woher? Wo ihr Mann eingerückt is in der Gartenbau im Reservespital?

Der kaiserliche Rat: Es hat doch geheißen, er is enthoben (befreit)? – Umzingelt, das wär großartig, das is nämlich, müßts ihr wissen, dasselbe wie umklammert.

Der alte Biach (mit Begierde): Umklammern solln sie sie, daß ihnen der Atem ausgeht! Wenn ich nur einmal bei so einer Umklammerung dabei sein könnt!

Der Kurzwarenhändler: (Ernst) Klein (von der Neuen Freien Presse) kann das, der is im Kriegspressequartier. Gestern hat er geschrieben, daß sie bis zum Weißbluten (bis zum Allerletzten) kommen wern. Früher laßt er nicht locker.

Der Kompagnon: Glück muß man haben, dabei zu sein. Sie, Dokter, wie is das eigentlich mit diesem Kriegspressequartier? Kommt da nur herein, wer untauglich is oder auch wer tauglich is?

Der Nörgler: Pardon –

(Sie machen Platz.)

Der Kurzwarenhändler: Was heißt tauglich? (Ins Kriegspressequartier) (Herein)kommt wenn einer schreiben kann, aber wenn er nicht schießen will aber wenn er will, daß die andern schießen.

Der kaiserliche Rat: Wie verstehe ich das? Wieso will er nicht schießen? Aus Mitleid?

Der Kurzwarenhändler: (Aber) Nein, (natürlich) aus Vorsicht. Mitleid darf man beim Militär nicht haben und wenn er im Kriegspressequartier is, is er doch so gut wie beim Militär.

Der alte Biach: Dieses Kriegspressequartier muß (wirklich) eine großartige Einrichtung sein! Man kann (dort) alles sehn. Es is ganz nah bei der Front und die Front is bei der Schlacht, also wird Klein (für die Neue Freie Presse) beinah in der Schlacht sein, er kann alles sehn, ohne daß es (zu) gefährlich is.

Der Kompagnon: Da heißt es immer, bei einem modernen Schlachtfeld sieht man gar nix (mehr). Also sieht man im Kriegspressequartier sogar noch mehr, wie wenn man direkt in der Schlacht is.

Der Doktor: Gewissermaßen ja, und man kann sogar über mehrere Fronten auf einmal (zugleich) berichten.

Der kaiserliche Rat: Von (Ernst) Klein war ja die packende Schilderung in der (Neuen Freien) Presse, daß die meisten Verwundungen der Unsern an den Außenflächen der Hände und Füße vorkommen, woraus hervorgeht, daß die Russen den Flankenangriff bevorzugen –

Der Kurzwarenhändler: No, ein Roda Roda is er (aber) nicht! Da wird noch viel Wasser in den Dnjepr fließen, bis er so (packend) schreiben wird wie Roda Roda!

Der kaiserliche Rat: Was mir an Roda Roda (Artikeln) gefällt is vor allem, daß er fesch is. Er sagt, er will sich morgen (in Bosnien) an der Drina die Schlacht ansehn (am Hauptkriegsschauplatz) – und er sieht sie sich an. Fesch!

Der alte Biach: Nutzt nix, man spürt eben den ehemaligen Offizier – den Korsgeist! Mein Sohn is zwar enthoben (befreit), intressiert sich aber doch sehr, er will sogar den Streffleer (Streffleur’s Militärzeitung) abonnieren.

Der kaiserliche Rat: Ich kann mir nicht helfen – ich bin sehr pessimistisch.

Der alte Biach: Was heißt pessimistisch? Was wolln Sie haben, noch is Lemberg in unserem Besitz!

Der Kompagnon: No also!

Der Doktor: Zu Pessimistisch ist gar kein Grund. Schlimmstenfalls, wenn jetzt die Entscheidung fällt, ist es eine Partie remis (ein Unentschieden).

Der Kurzwarenhändler: Und ich sag Ihnen, ich weiß sogar von einen Herrn vom Ministerium, die Sache is so gut wie gemacht. Wir kommen von rechts, die Deitschen von links und wir zwicken sie, daß ihnen der Atem ausgeht.

Der kaiserliche Rat: Schön – aber (was ist mit) Serbien?

Der alte Biach (rabiat): Serbien? Was heißt Serbien? Serbien wern wir wegfegen (wie ein Wirbelsturm)!

Der kaiserliche Rat: Ich weiß nicht – ich kann mir nicht helfen – der heutige (Zeitungs)Bericht – man muß zwischen den Zeilen lesen können und wenn man sich die Karte hernimmt – ein Blick auf die Karte zeigt – sogar der einfache Laie – ich kann Ihnen beweisen, Serbien –

Der alte Biach (gereizt): Lassen Sie mich aus mit Serbien, Serbien is ein Nebenkriegsschauplatz. Ich ärger mich. Gehn mr hinein, neugierig bin ich, was heut die Minister (be)sprechen wern – ich schlage vor, meine Herrn, daß wir uns direkt am (an den) Nebentisch setzen.

(Sie treten ein.)