2-15. Szene                                                                                                                                                      Bureauzimmer bei einem Kommando

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Redakteur der NFP Julius Ferdinand Hirsch, österreichischer Schriftsteller und Kriegskorrespondent Alexander Roda Roda

(2.15.1)                                                                                                                                                                                                                     Hirsch

Hirsch (tritt singend auf. Melodie aus dem »Verschwender«)

Heisa! lustig ohne Sorgen Leb ich in den Krieg hinein,

Den Bericht geb ich für morgen, Schön ist's ein Reporter sein.

Wär ich noch so grad gewachsen, Müßt ich nicht zum Militär.

[: So verdiene ich noch Maxen Auf dem schönen Feld der Ehr.:]

Zweitens aber ist das Leben
Jetzt im Hinterland zu stier.


Darum hab ich mich begeben
In das Kriegspressequartier.


Drittens wärs im Schützengraben
Doch für unsereins zu fad,


[: Weshalb sie enthoben haben
Mich zum leichtern Dienst beim Blatt.:]

Viertens kann ich schnellstens melden,
Wie die Schlacht nimmt ihren Lauf.


Was sie vorne tun die Helden,
Schreib ich gleich von hinten auf.


Ich wer' bis zum Endsieg bleiben,
Ich gewinne, auf mein Wort.


[: Denn kaum fang ich an zu schreiben,
Laufen alle Feinde fort.:]

Darum kann ich fünftens sagen,
Ich bin hier wie's Kind im Haus.


Wie sich unsre Leute schlagen,
Haben unsere Leut heraus.


Sechstens, siebtens und so weiter,
Da mich keine Kugel trefft,


[: Leb ich ungeniert und heiter
Hier vom guten Kriegsgeschäft.:]

(Hineinrufend:) Sie Major, wenn Sie den General sehn, sagen Sie ihm, daß ich ihn dann interviewen wer' und den ganzen Stab! Heut wird sich kaner drucken!

(2.15.2)                                                                                                                                                                                                            Roda Roda

Roda Roda (tritt singend auf. Nach einer bekannten Melodie von »O Tannenbaum«):

Der Rosenbaum, Der Rosenbaum Vertritt die schönsten Blätter.

Er gedeihet kaum Im Etappenraum, An der Front schreibt sich's viel netter.

Ich seh mir alles
Selber an,
Dann kann ich alles wissen.


Und schlimmsten Falles
Werd' ich dann
Von den Schrapnells zerrissen.

Was schert mich Weib,
Was schert mich Kind,
Was gilt mein eignes Leben?


Zum Zeitvertreib
Mir errichtet sind
Die schönsten Schützengräben.

Doch vor dem Feind
Gibts keinen Schmus,
Da heißt's die Stellung wählen.


Ich bin kein Freund
Von Interviews,
Mir wern sie nix erzählen!

Ich war einmal
Selbst bei dem Gschäft,
Ich kenn hier alle Leute.


Bin überall,
Wo man mich trefft.
Gewährsmann bin ich heute!

Einst hat man doch
Mir a. D. gesagt,
Das sollte eine Schand' sein.


Jetzt wird nur noch
Nach mir gefragt,
Denn alle woll'n genannt sein.

Das Militär
Bin ich gewohnt;
Für meine Schlachtberichte


Spring ich von der
Zu jener Front
Und mache Weltgeschichte.

Heut bin ich in
Der Weichselschlacht
Und morgen am Isonzo.


Ich hab es drin
Sehr weit gebracht
Und bin es schon gewohnt so.

Der Brigadier
Er meldet mir,
Der Feind wird Schläge kriegen.


Doch werden wir
Geschlagen hier,
So laß ich einfach siegen.

Das Hinterland
Betret ich kaum,
Ich bleib viel lieber doda.


Ich bin verwandt
Mit Rosenbaum,
Doch heiß ich Roda Roda.

(Hineinrufend.) Sie Major, wenn Sie den General sehn, sagen Sie ihm, daß der Oberst versetzt werden muß – er hat mir den Passierschein für das Fort 5 in Przemysl verweigert. Er scheint nicht gewußt zu haben, wer ich bin. Das entschuldigt ihn nicht, sondern im Gegenteil. Ich werde den Herren schon Disziplin beibringen – haben Sie verstanden?

(Sicherlich eine der interessantesten mit dem Krieg in Zusammenhang stehenden Fragen ist die nach der Höhe der Menschenverluste. Man hört die verschiedensten Zahlen nennen, und wahrscheinlich ist keine davon richtig. Ja, es ist anzunehmen, daß die Verlustziffer nie auch nur annähernd zutreffend wird ermittelt werden können. Warum?

Die Ermittlung müßte dicke Wolken von Schleiern zerreißen — von absichtlich gezogenen — und anderen, die sich ohne Absicht der Führer allein als Folge des Kriegszustandes um den Gegenstand der Betrachtung legen.

Schon die Anzahl der kämpfenden Männer ist kaum jemals zu bestimmen. Denken wir uns, ein Frontabschnitt liege in lebhaftem Gefecht. Er greift an und wird dezimiert. Geht zurück und erhält Verstärkungen. Die Verbände reißen und vermischen sich: mitten unter Leuten des Regiments stehen solche der Regimenter B, C, und D. Das Regiment A bekommt auf dem Gefechts stand selbst (es dauern Schlachten ja oft Monate und Wochen) ein Marschbataillon nachgeschickt; eh' es förmlich in den Grundbuchstand einverleibt ist, hat es Tote und Verwundete; sie zählen (auf dem Papier) noch nicht als Verluste des Regiments, werden aber beim Kommando des Marschbataillons als „dem Regiment gesund übergeben" angeführt. Der Truppenkörper L verliert Leute durch Umzingelung; man meldet sie als vermißt, doch sie schlagen sich durch und kehren heil zurück. Das Regiment C hält seine Vermißten für gefangen — in Wahrheit sind sie tot.

Bei D-Jnfanterie ist es umgekehrt: da meint man, die Starschi-Unteroffiziere X, Y, Z wären gefallen — indessen sind sie gefangen und verschwinden für immer; sie haben sich, statt nach Friedensschluß nach Rußland heimzukehren, in Ungarn angesiedelt und geben keine Nachricht.

Man sieht, es gibt tausend Fehlerquellen der Feststellung des eigenen Gefechtsstandes, der eigenen Verlustziffer; die Feststellung ist am wenigsten genau im stehenden Kampf und im Rückzug, wo der Gegner das Schlachtfeld zum Teil oder ganz beherrscht, die Bergung der Toten und Verwundeten mindestens erschwert. Im Rückzug gehen auch oft die unersetzlichen Ausschreibungen der Kommanden verloren.

Tappt man schon hinsichtlich der Verlustzahlen hüben im Dunkeln, ist die Schätzung der Einbuße beim Feind noch schwieriger. (Um eine Schätzung aufs Geratewohl handelt es sich im besten Falle.) Einigermaßen genau unterrichtet über die Höhe der Verluste unseres Feindes sind wir nur, wenn er fließend weicht: da können wir die zurückgelassenen Toten, Verwundeten, Gefangenen zählen. Nur die zurückgelassenen Toten und Verwundeten; wie viele er mitnimmt, bleibt uns ziemlich unbekannt.

Als die Russen im Frühling 1915 vor der Offensive des G. d. K. v. Pflanzer-Baltin die Bukowina räumten, brachten vollbeladene Eisenbahnzüge russische Leichen nach Rußland; die Kosaken lassen Tote und Verwundete fast niemals da. Was die Gefangenen betrifft: wenn — sagen wir — eine Jäger und eine Landwehrkompagnie durch eine gemeinsame Aktion 30 Tscherkessen einkreisen, so kann es sehr wohl geschehen, daß die beiden Kompagnieführer im besten Glauben keinen Gefangenen oder deren 60 melden — je nachdem, ob jeder von ihnen die Gefangennahme der Tscherkessen der kooperierenden Truppe oder sich selbst zuschreibt.

Im allgemeinen ist der Sieger geneigt, und das ist nichts als menschlich, die Zahl der geschlagenen Feinde ebenso wie die Verluste des Gegners zu überschätzen. Der Unterlegene wird sich nicht viel anders benehmen — nur' sieht er vielleicht im ersten Zagen auch die eigenen Reihen zu sehr gelichtet; er will ja damit seinen Entschluß zum Rückzug vor sich selbst wie auch vor anderen beschönigen.

In der Schlacht am San begegneten mir in einem Wäldchen drei Versprengten eines Regiments. Ich fragte sie, was sie hier suchten. Sie behaupteten einmütig, die letzten Überlebenden des Regiments zu sein, der Rest wäre durch russische Granaten vernichtet. Eine Stunde später stieß ich auf das Regiment; es war vollzählig. Jedermann, der sich im Kriege umtrieb, kann ähnliche Erlebnisse zu Dutzenden erzählen.

Historisch ist die Episode Bechtolsheim, Schlacht bei Custozza 1866: Der italienische Divisionär, von Bechtolsheims drei Viertel Schwadronen attackiert, ging davon, in der Überzeugung, es mit einer Reiterbrigade zu tun zu haben — das heißt, mit zwölf Schwadronen; er hielt also den Gegner für sechzehnmal stärker als der Gegner wirklich war.)