2-16. Szene                                                                                                                                                                          Ein anderes Bureauzimmer

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(Anm. Anfang des 20. Jahrhunderts war die gigantische Festung Przemysl in Galizien eine der größten und modernsten Festungen Europas. Sie bestand aus einem 45 Kilometer langen Festungsgürtel mit mehreren Dutzend Forts, die mit Wällen verbunden waren. Sie wurde mit der französischen Festung Verdun verglichen und als das „Verdun der östlichen Front“ bezeichnet. Das tödliche Drama einer Winterschlacht unter unvorstellbaren Bedingungen (im März sanken die Temperaturen auf minus 20 Grad) wurde von den Kriegsberichterstattern als Heldenepos inszeniert. Der monatelangen Verteidigung der Festung folgte im März 1915 ihr Fall. Die russischen Belagerer verzichteten vorerst auf jeden Versuch, Przemyśl zu erstürmen und setzten darauf, dass der Hunger ihnen die Festung in den Schoß fallen lassen würde. Die nur noch aus 110.000 Soldaten bestehende Garnison gab am 22. März 1915 wegen Lebensmittelmangels, des Winters und der Erschöpfung der Soldaten auf und ging komplett in russische Gefangenschaft.)

Ein Generalstäbler am Telephon

Ein Generalstäbler (erscheint und geht zum Telephon): – Servus, also hast den Bericht über Przemysl fertig? – Noch nicht? Ah, bist nicht ausgschlafen – Geh schau dazu, sonst kommst wieder zum Mullattieren zu spät. Also hörst du – Was, hast wieder alles vergessen? – Ös seids – Hör zu, ich schärfe dir noch einmal ein – Hauptgesichtspunkte:

Erstens, die Festung war eh nix wert. Das ist das Wichtigste – Wie? Man kann nicht – Was? man kann nicht vergessen machen, daß die Festung seit jeher der Stolz – Alles kann man vergessen machen, lieber Freund! Also hör zu, die Festung war eh nix mehr wert, lauter altes Graffelwerk – Wie? Modernste Geschütze? Ich sag dir, lauter altes Graffelwerk, verstanden? No also, gut.

Zweitens, paß auf: Nicht durch Feindesgewalt, sondern durch Hunger! Verstanden? Dabei das Moment der ungenügenden Verproviantierung nicht zu stark betonen, weißt, Schlamperei, Pallawatsch etc. tunlichst verwischen. Diese Momente drängen sich auf, aber das wirst schon treffen. Hunger is die Hauptsache. Stolz auf Hunger verstehst! Nicht durch Hunger, sondern durch Gwalt, ah was red ich, nicht durch Gewalt' sondern durch Hunger! No also, gut is –

Was, das geht nicht? Weil man dann merkt, daß kein Proviant – wie? – und weil man dann einwendet, warum nicht genügend Proviant? Alstern gut, gehst drauf ein und sagst: unmöglich, so viel Proviant als notwendig aufzuhäufen, weil's eh der Feind kriegt, wann er die Festung nimmt – Wie er sie dann genommen hätte? Durch Hunger? Nein, dann selbstverständlich durch Gewalt, frag net so viel. Verstehst denn net, wenn er also die Festung durch Gewalt nimmt und mir ham an Proviant, nacher nimmt er auch den Proviant. Darum dürfn mr kan Proviant haben, nacher nimmt er kan Proviant, sondern er nimmt die Festung durch Hunger, aber nicht durch Gwalt.

No wirst scho machen, servus, muß in die Meß, habe nicht die Absicht, mich durch Hunger zu übergeben – Schluß!