2-17. Szene Restaurant
des Anton Grüßer
(Anm. Ab
1915 wurde der Fleischverbrauch der Bevölkerung staatlich reguliert. Die
Behörden sahen in der Rationierung den einzigen Ausweg, nachdem es für Fleisch
praktisch keinen Ersatz gab. Zuerst wurden für Gewerbebetriebe und dann für die
gesamte Bevölkerung fleischfreie Tage verordnet. Zuerst waren es zwei, ab 1916
wurde das Verbot auf drei Tage ausgeweitet, nämlich dezidiert Montag, Mittwoch
und Freitag. Das Verbot galt für alle Fleischsorten, die einzigen Ausnahmen
waren Blut- und Leberwürste. Mit 5.000 Kronen bzw. bis zu sechs Monaten Arrest
musste bei Übertretung gerechnet werden, 1917 wurde der Strafrahmen sogar auf
20.000 Kronen erhöht.)
Vier Kellner, Herr und Dame, Zwei Kellnerjungen,
Zahlkellner, zwerghafter Zeitungsjunge, Zwei Mädchen mit Ansichtskarten und
Kriegsfürsorgeabzeichen, Zwei Frauen mit Ansichtskarten, Blumenmann,
Blumenweib, Kolporteurin, drei Gäste, Restaurateur Anton Grüßer, Stammgast,
Major Bambula von Feldsturm / Nörgler
Vorn ein Herr mit einer Dame. Von einem
Tisch zum andern geht ein Mann, der sich unaufhörlich stumm verbeugt. Vorn
links an einem Tisch der Nörgler.
1. Kellner: Schon
befohlen bitte?
Herr: Nein,
die Karte.
(Kellner ab.)
2. Kellner: Schon
befohlen bitte?
Herr: Nein,
die Karte.
(Kellner ab.)
1. Kellnerjunge:
Zu trinken gefällig, Bier, Wein –
Herr: Nein.
(Kellnerjunge ab.)
3. Kellner: Schon
befohlen bitte?
Herr: Nein,
die Karte. (zu einem vorbeieilenden Kellner) Die Karte!
2. Kellnerjunge:
Bier, Wein –
Herr: Nein.
4. Kellner (bringt
die Karte): Schon befohlen?
Herr: Nein.
Sie haben ja eben die Karte gebracht. Was ist fertig?
4. Kellner: Was auf
der Karte steht.
Herr: Auf der
Karte steht »Gott strafe England«. Das esse ich nicht.
4. Kellner:
Vielleicht was frisch Gemachtes? Laßt sich der Herr vielleicht –
Herr: Haben
Sie Roastbeef?
4. Kellner: Bedaure,
heut is fleischfrei. Laßt sich die Dame ein schönes Schnitzerl machen oder ein
Ramsteckerl oder vielleicht ein Ganserl die Dame –
Herr: Zuerst
eine Vorspeise. Was ist denn das: Reizbrot (Leckerschnitte)?
4. Kellner: Das ist
ein Appetitbrot.
Herr: Mir ist
er schon vergangen. Also vielleicht – was ist denn das: Eieröltunke vom
Fisch?
4. Kellner: Das ist
eine Fischmayonnaise.
Herr: Was ist
denn das: Butterteighohlpastete?
4. Kellner: Das ist
ein Volavan.
Herr: Was ist
denn das: Mischgericht?
4. Kellner: Das ist
ein Rakuh.
Herr: Also
bringen Sie in Gottes Namen das – und dann, warten Sie – was ist
denn das: Rindslenden-doppelstück nach Feldherrnart mit Hindernissen nebst
Holländertunke?
4. Kellner: Das ist
ein Anterkot mit Soß hollandees.
Herr: 52
Kronen, bißchen teuer, bißchen teuer.
4. Kellner: Ja, der
Herr darf nicht vergessen, jetzt is Krieg und heut is fleischfrei.
Herr: Also
meinetwegen, bringen Sie das.
(Kellner ab.)
Dame: Siehst Du,
wir hätten doch zum Sacher gehn sollen, dort kostet so was nur fünfzig.
1. Kellner: Schon
befohlen bitte?
Herr: Ja.
2. Kellner: Schon
befohlen bitte?
Herr: Ja.
1. Kellnerjunge:
Bier, Wein?
Herr: Nein.
3. Kellner: Schon
befohlen bitte?
Herr: Ja.
4. Kellner (zurückkommend): Bedaure, kann nicht mehr dienen. (Streicht fast alle Speisen.)
Herr: Sie
haben doch –
4. Kellner: Ja, heut
an ein fleischfreien Tag is das kein Wunder. Aber laßt sich der Herr zwei
verlorene Eier machen, vielleicht mit einer biganten Soß, stehn noch auf der
Karten –
Herr:
Verlorene Eier, was ist denn das? Wer hat denn die verloren?
4. Kellner (leise):
Öf poschee hat man's ghaßen vorm Krieg.
Herr: Aha, und
man glaubt, daß man ihn damit gewinnen wird? – Nein, warten Sie –
Treubruchnudeln – was bedeutet denn das?
4. Kellner: No
Makkaroni!
Herr: Ach ja,
richtig. – Schurkensalat, was ist denn das?
4. Kellner:
Welischer Salat.
Herr: Ach ja,
das ist ja klar. Also – bringen Sie: ein feines Gekröse nach
Hausmacherart mit gestürzten Kartoffeln und verlorenen Eiern, dazu ein scharfes
Allerlei, hernach einen Musbrei und zweimal Grüßersahnenkuchen. Wie hat denn
der früher geheißen?
4. Kellner:
Grüßerschaumtorte.
Herr: Warum
Grüßer?
4. Kellner: No nachm
Herrn!
(Grüßer kommt zum Tisch, grüßt und geht ab.)
Herr: Wer ist
der Herr?
4. Kellner: No, der
Herr! (Ab.)
Der Zahlkellner:
Schon bestellt der Herr?
Herr: Ja.
Ein zwerghafter Zeitungsjunge (wippt von Tisch zu Tisch): Sick über Sick!
Extraausgabe! Schwere Niederlage der Italiena! Sick über Sick!
Zwei Mädchen (mit
Ansichtskarten und Kriegsfürsorgeabzeichen von Tisch zu Tisch): Für die
Kriegsfürsorge ein Scherflein, wenn ich bitten darf –
1. Kellnerjunge:
Brot gefällig? Bitte um die Karte.
Herr (will
die Speisekarte reichen): – ah so, ich habe keine.
Zwei Frauen (mit
Ansichtskarten von Tisch zu Tisch): Für die Kriegsfürsorge
bitte –
Der Blumenmann (im
Eilschritt auf den Tisch los): Blumen gefällig –?
Das Blumenweib (von
hinten): Schöne Veigerln – für die Dame?
Eine Kolporteurin: Extraausgabee!
1. Gast (den Zahlkellner
rufend): Sie, Herr Finanzminister –!
Der Zahlkellner (beugt
sich über einen Gast): Schon den neuesten Witz ghört, Herr Dokter? Was ist
der Unterschied zwischen einem galizischen Flüchtling und – (sagt ihm
die Fortsetzung ins Ohr.)
1. Gast (immer
heiterer werdend, plötzlich ausbrechend): Glänzend! Aber wissen Sie schon
den Unterschied zwischen einer Rotenkreuzschwester und – (sagt ihm die
Fortsetzung ins Ohr.)
4. Kellner (mit
achtzehn Schüsseln): Sosss bidee –! (Er schüttet die Dame an) Oha, nicht zfleiß tan, paton!
3. Gast: Wer sagt
da Pardon? Sie, Herr Grüßer, in Ihrem gut deutschen Lokal sagt ein Kellner
Pardon!
Grüßer: Herr von
Wossitschek glauben gar nicht, wie schwer es jetzt mit die Leut is. Sagt man
einem von ihnen was, lauft er davon, er kriegt genug Posten sagt er. Es is ein
rechtes Kreuz, die bessern eingerückt und diese ungebildeten Elemente was
zurückbleiben –
3. Gast: No ja,
no ja, aber –
Grüßer: Pardon,
Herr von Wossitschek, ich muß grüßen gehn. (Tut es.)
3. Gast: Pardon
pardon, lassen S' Ihnen nicht aufhalten.
Ein Stammgast:
Serwas Grüßer, wie gehts dr denn? No was sagst, den Leberl hams schön
eintunkt –
Grüßer: No was
der aber auch für Preise hat! Und dann is der Mensch gar nicht beliebt. Ich, wo
ich hier eine Persönlichkeit bin, hab noch nie den geringsten Anstand gehabt.
Stammgast: Geh setz
di bißl her Grüßer.
Grüßer: Später,
recht gern, aber weißt ich muß noch grüßen. (Tut es.)
Stammgast: Ja
natürlich, serwas!
Bambula von Feldsturm (brüllend und auf den Tisch trommelnd): Sackrament
noch amal, wird man denn heut gar nicht bedient? Sie, herstellt!
1. Kellner: Bitte
gleich, Herr Major!
Grüßer: Herr
Major befehlen?
Bambula von Feldsturm: Sie, Wirt, was is denn das? Wird man denn heut gar
nicht bedient? Die Bedienung ist nicht mehr wie früher, seit einem Jahr bemerk
ich das, wo sind denn alle Kellner?
Grüßer:
Eingerückt, Herr Major.
Bambula von Feldsturm: Was? Eingerückt? Warum sinds denn alle eingerückt?
Grüßer: No weil
Krieg is, Herr Major!
Bambula von Feldsturm: Aber seit einem Jahr merk ich das schon, Sie haben ja
bis auf die vier gar keine Kellner mehr. Für so ein Riesenlokal! Seit einem
Jahr merk ich das schon.
Grüßer: No ja,
seitdem Krieg is, Herr Major!
Bambula von Feldsturm: Was? Das is ein Skandal! Daß Sie's nur wissen, die Kameraden
beklagen sich alle, sie wollen nicht mehr herkommen, wenn das so weiter geht!
Alle sinds ausn Häusl. Der Hauptmann Tronner, der Fiebiger von Feldwehr, der
Kreibich, der Kuderna, der Oberst Hasenörl, alle sinds ausn Häusl, erst gestern
hat der Husserl von Schlachtentreu von die Sechsundsechziger gsagt, wenn das so
weitergeht –
Grüßer: Ja, Herr
Major, mir möchten ja alle, daß's einmal aufhört und daß der Frieden
kommt –
Bambula von Feldsturm: Was, Frieden – hörn S' mir
auf mit Ihrer Friedenswinselei – ich hab die Kaisermanöver mitgemacht
– wenn Sie unser oberster Kriegsherr hören möcht – jetzt heißt es
durchhalten lieber Freund – da gibts nix!
(Ein Kellner eilt vorbei.)
Bambula von Feldsturm: Sie (Kellner) rechts schaut! Kerl das verfluchter, na wart, den wer' ich einrückend machen
– Sie sagen S' mir nur, was ist denn das für eine
Bedienung –?!
Grüßer: Was
haben bestellt, Herr Major?
Bambula von Feldsturm: Nix, ein Rostbratl möcht ich, aber etwas
unterspickt –
Grüßer: Bedaure,
heut is fleischfrei.
Bambula von Feldsturm. Was? Fleischfrei? Was is denn das wieder für eine neue
Mod?!
Grüßer: Ja,
jetzt is Krieg Herr Major und da –
Bambula von Feldsturm: Machen S' keine Spomponadeln. Möcht wissen, was das mit
dem Krieg zu schaffen hat, daß 's Fleisch ausgeht! Das war früher auch nicht!
Grüßer: Ja, aber
jetzt is doch Krieg, Herr Major!
Bambula von Feldsturm (in größter Erregung aufspringend): Also das
brauchen S' mir nicht immer unter die Nasen reiben immer mit Ihnern Krieg, das
hab ich schon gfressen! Von uns Kameraden sehn Sie keinen mehr in Ihrem Lokal
– wir gehn zum Leberl!
(Stürzt davon.)
Grüßer: Aber
Herr – Major – (kopfschüttelnd) Mirkwirdig!
3. Gast (zu
einem Kellner): Gar nix is da? Nicht amal a Mehlspeis?
4. Kellner:
Wienertascherl, Anisscharten, Engländer
3. Gast: Was?
Engländer habts jetzt im Krieg?
4. Kellner: Die sein
noch vom Frieden.
3. Gast: Sie,
pflanzen S' wem andern, zahlen!
1. Kellner: Zahlen!
2. Kellner: Zahlen!
3. Kellner: Zahlen!
4. Kellner;
Zahlen –
1. Kellnerjunge (zu
sich): Zahlen.
Grüßer (ist
an den Tisch des Nörglers getreten, grüßt und spricht, sich über ihn beugend,
mit starrem Blick, wodurch er das Aussehen des Todesengels gewinnt, erst
allmählich lebhafter werdend): Das Wetter scheint sich nach der letzten
mineralogischen Diagnose zu klären und dürfte auch wieder der Zuspruch ein
regerer werden – waren gewiß verreist, schon recht, schon recht –
ja jeder hat heutzutag zu tun, mein Gott der Krieg, das Elend, man merkts
überall im Gewerbestand, wie der Mittelstand leidet – die Einflüsse sind
noch immer nicht abzusehn – auch ein Herr von der Zeitung, ein Dokter was
im Ministerium die rechte Hand is hat selbst gesagt – mirkwirdig –
hm – aber mir scheint, heute keinen rechten Appetit, grad heut, schad,
das Vordere (Lendenstück), alle Herren loben sichs, nun dafür das nächste Mal
als Gustostückl ein Protektionsportionderl von der Grüßerschnitte – Poldl
abservieren, schlaft wieder, der Mistbub, also djehre
djehre – –
(Der Herr und die Dame vorn sind eingeschlafen.)
4. Kellner (stürzt
herbei): Bedaure, kann nicht mehr dienen!
Der Herr (erschrocken
auffahrend): Super – arbitriert (für wehrdienstuntauglich erklärt)? –
Ach so. Also da gehn wir wieder. (Er erhebt sich mit der Dame.) Adieu.
4. Kellner: Paton,
gestatten, daß ich drauf aufmerksam mach für das nächste Mal, wir sind ein
deutsches Logal und da derf nicht franzesisch gesprochen wern – (wischt
sich mit dem Hangerl die Stirn.)
Der Herr: So
so –
Grüßer (hinter ihnen):
Djehre-guntagzwintschn-kstiand-schamstadiener-menehoachtung-kompliment-andersmalwieder!
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