2-2. Szene Optimist
& Nörgler (5)
Optimist, Nörgler
|
(Der
Nörgler: (spricht sein Gedicht »Eeextraausgabeee«)
Nun sinds so viele Monde,
daß der Ruf
der hiesigen Natur
(intabuliert)
ins Grundbuch eingetragen
ist.
Nie mehr wird er
verschwinden.
»Eeextraausgabeee-!«
»Eeextraausgabeee-!«
Täglich, stündlich, in
jeglicher Minute nahm
ihr Ohr ihn auf. Er bleibt
ihr fortan einverleibt.
Sie hört ihn, wenn der
letzte Anlaß,
ihr so zuzusetzen, längst
begraben ist;
sie tönt ihn noch, wenn ihn
kein Mund mehr ruft;
und täglich,
stündlich wird es sein, wie jetzt.
Wann immer du dein Haus
verlassen willst,
wo immer du aus einem Tor
heraustrittst,
wo du auch gehst und
stehst, der Ruf ereilt dich,
»Eeextraausgabeee-!«
»Eeextraausgabeee-!« –
ist da und packt dich, hat
dich, hält dich fest
und zwickt dich, und du
mußt ein Ohr behalten
für die Stationen dieser
Höllenfahrt,
wirst wissen, wie
die Welt läuft, je nachdem.
Die Stadt, der alles Chaos
wird zum Bild,
zum Sinnbild ihrer selbst,
zum Wahrzeichen,
und zur Musik auch, hat dich lebenslänglich
genarrt mit falscher Optik.
Und nun ist im Drang der
Zeit
die falschere Akustik ihr zugewachsen.
Menschen standen schlecht
im Raum;
im Knäuel des Verkehrs
warst du imstand,
den Teint zu unterscheiden.
Schau, der hat ein weißes Haar
hier an der Schläfe,
und der Passant dort wird
halt auch schon alt.
Gut aufgelegt ist
der heut, jener aber muß Sorgen haben.
Lauter Solospieler begegnen
dir, es fehlt Komparserie;
du triffst nur
immer solche, die im Chor so mitzuwirken aus Gefälligkeit entschlossen sind.
Doch stellt sich
vor der Oper ein Mann nur hin, so ist dir jede Aussicht ins weitere Leben
gänzlich abgesperrt.
Im Korridor des Schnellzugs
ein Reklambild,
zur Anlockung der Fremden angebracht,
zeigt dir den Platz, ein
rechtes Großstadtzentrum,
und du erkennst gleich die
Persönlichkeit von drei Passanten, einer wendet sich und lächelt zu dir, wissend,
was er ist.
Er ist, was eben jeder
Wiener ist, und jeder anders:
eine Sehenswürdigkeit.
Am Fuße jedes ihrer Einwohner liegt – diese Stadt.
Es ist halt ein Malheur.
Ein Schnurrbart zwirbelt sich als Hindernis,
du kannst nicht weiter,
ohne anzustoßen.
Leicht beieinander wohnen
die Gedanken,
doch hart im Raume stoßen
sich die Wiener.
Sie stehen »umeinander«
unter andern
und stehn auch »in der
Zeitung« so herum,
anwesend stets, die eigene
Ausstellung eröffnend,
nur verbunden durch den
Gruß,
denn jeder hat »die
Ehre», keiner (aber) hat sie.
Wie kam denn das?
Bei Gott, der schlechte
Zeichner
neuwienerischen
Farbenwitzes hat den Menschen hier nach seinem Ebenbild geschaffen,
alles ist lebendig,
springt, ist quietschvergnügt –
und dennoch
todesstarr.
Ein Zeichner Schönpflug zog des Lebens Ackerfurche, aus der kein Halm mehr wächst. hoffnungslos verzappelt,
und alles ist verschoben,
ist verrückt
nach dem Gesetz der
falschen Perspektive.
Und etwa noch nach dem
Gesetz der Trägheit,
indes die
Schwerkraft aufgehoben ist.
Die Menschen
schreiten auf dem Fleck,
die Pferde, sie
hängen in der Luft.
Er ist ein Dämon.
Was geht, das
steht; was steht, das fällt; was fällt, das geht.
Im Zerrspiegel siehst du die Leute,
sie sind zu dick, zu dünn,
Lachkabinett ist ihre
Wohnung
und die Weltkugel ein
buntes Glas, worin bald breit, bald lang der Wiener lachend sein Gesicht
beschaut.
Verzeichnet sind sie und
verzeichnet
stehn sie im
Schicksalsbuch.
Der Zeichner war
ein Dämon.
Nun aber hat sich, wer will
es bezweifeln,
ein böser Musikant (in das
Konzert) hineingemischt.
Du warst genötigt, Menschen
anzusehn,
die du nicht sehen
wolltest. Die du aber
nicht hören wolltest, die mußt du
nun (an) hören.
Ein Knirps hier macht den
Horizont dir voll,
wenn den der
Stephansturm dir nicht verdeckt hat:
du siehst nichts andres
mehr, du lebst im Dunkel.
Nun füllt er dir den Weltraum
mit Geräusch:
du hörst nichts andres
mehr!
»Eeextraausgabeee-!«
Hat die entfesselte Schar von Proleten,
die einst an der Wand des Lebens stand
und stumm war,
stumm die Hand zum Betteln zeigte, denn kein
Lampenfieber?
Nachkommenschaft
(Proles) ist Wegbereiter (Prodromos).
Das rast und rennt dem Sieg voran und will ihn überbieten.
Das sind die wahren Herolde
der Tat,
in ihrer
Unbegreiflichkeit ist aller Zusammenhang mit ihr –
so halt sie auf, mach sie
verantwortlich und frage sie:
wie lang' es, wenn sie's schon verschuldet haben,
nach ihrer Meinung wohl
noch dauern mag!
Sie wissen es, sie kommen
von der Quelle,
sie rühmten sonst
so laut sich nicht der Tat.
Was steckt wohl
hinterm Spuk? Hier ist ein Pflaster,
daß sich die Technik auf
die Füße trete.
Reste von Wald und Blut
empörten sich
und wollten anders als der
Taxameter.
Sie hatten
recht, nun aber ist er da:
so funktioniert denn nur
das Handgemenge,
in dem
Natur hier kämpft mit
dem Betrieb,
ohnmächtig beide,
beide unterliegend.
Verstecken spielt das
Individuum,
spaßt mit der Technik und
treibt Schabernack,
unfaßbar hinter einem
Telephon,
doch immer gegenwärtig,
gutgelaunt:
»Ja, mir haben Sie die
Nummer nicht gesagt!«
Unsichtbar will sie ein
Gesicht doch haben.
Sie ist nicht Amt, sie hat
noch eine Meinung;
sie sagt nicht:
»Hier Amt», sie sagt frisch: »Halloh?«;
sagt die »Halloh« hier,
sagt die andere »Bitte?!«;
die dritte sagt nicht
»Bitte», sondern anders,
die ist's, die
»Pittapittapitta?« sagt.
Ich kenne sie genau, ich
unterscheide,
doch nützt es
nichts, denn sie verleugnen sich.
Gespräche geben
sich ein Rendezvous und tauschen, rauschen, lauschen, plauschen, mauscheln
und hatschen, ratschen,
tratschen miteinand,
die Drähte liegen wie nur
Kraut und Rüben,
nein, Kraut und Rüben
liegen wie die Drähte,
sie liegen
»Kruzitürken übereinand»!
Das Telephon ist Störung.
Das Bureau für Störung aber
ist die Zuflucht jener,
die nicht gestört sein
möchten. Hundert Käuze
sind dort im Ruhstand, jeder lebt für sich,
läßt dich noch einmal alles
sich erzählen,
wie sich's begeben hat
und wie es oft im Leben
schief geht,
kann man halt
nichts machen.
So ward das Chaos aus der Welt erschaffen.
Das Leben ist nur eine
Unterbrechung,
der Mensch ist
falsch verbunden – mit der Zeit.
Dem unverständlich, der sie
spricht, die Sprache.
Sagst zwei du, ist es drei,
hört fünf sie, sieben,
neun ist soviel wie eins.
Das Einmaleins der Hexen
ist es, das dich so betrügt;
magst welche Nummer immer
du verlangen,
sie kommt dir nicht heraus,
und wäre sie
dir selbst erlangbar,
glückt es dennoch nicht:
frei ist besetzt, besetzt
ist aber frei,
du sprichst mit
einem und – es ist ein andrer.
Alles ist windschief und des Lebens Sinn der Irrsinn und des Lebens
Instrumente parieren nicht dem Leben
und der Zweck ist widerspenstig, wenn die Mittel
wollen.
Ein ewiger Zank
mißfälligen Dialekts von schlaffen Zungen, die das Wort nicht halten, füllt Tag
und Nacht
und nennt sich
Pallawatsch, und schmeckt wie das Gemisch, das diesen Zungen ein Wohlschmack
ist:
der eingebrannte
Brei, bereitet aus Gemüsen wie Gehirnen.
Gut eingestäubt
nach dem Rezept sind auch die Straßen
und der allbeliebte Kot ist
wie ein gutes Papperl populär.
Windschief ist alles,
selbst der Wind geht schief,
das Klima will nicht und
der liebe Frühling
spielt nicht mehr mit; es
zieht, wenn alles zu,
bei offenem Fenster tritt
Erstickung ein,
die Erde regnet und es
staubt vom Himmel;
drum spritzt man auf, wenn
alles eh scho naß ist,
ist (dennoch) Staub,
so wirbelt man ihn gschwind noch auf,
ist keiner,
gleichfalls, mit der Kehrichtwalze.
Auf solchem Weg
erschwert dir nun den Schritt der Nachbar,
der sich dir wie
eine Mehlspeis serviert,
auch wenn du (gar) keinen
Appetit hast,
aus Mehl und Wasser eine
Spottgeburt.
Die Sorte ist Melange aus
Jud und Christ;
noch mehr Persönlichkeit
hat die Melange:
mehr Haut, mehr
Gold; mehr licht, mehr dunkel.
Schale (Einspänner),
Teeschale, Nuß und Glas, weiß, braun und Cappucino, verkehrt (verlängert) und
obersgspritzt und
Doppelschlag. Dem
unterwarf sich die Bevölkerung,
in »Schlag-« und
»Hautesser« teilt man sie (also) ein.
Willst aber selbst
du essen, dann bedauert der, der dir dienen soll, daß er dir (leider) »nicht
mehr dienen« kann,
und streicht vor deinen
Augen die Speisen alle,
die du (doch auf der Zunge)
schon geschmeckt hast!
Nicht vorher wußt' er's?
und er mußte warten,
bis du mit deinem Wunsche
ihn gemahnt hast?
Dann fragen zehn verschiedene
(Kellner) nacheinander,
ob du denn »schon
befohlen« hast, »bittee?»
Es gibt nur Linzer, Sacher,
Wienertascherln,
Powidltatschkerln
und Engländer, Gott strafe England,
und du hilf(st) dem
Wirt, die alte Anisscharte auszuwetzen.
Vielleicht ist aber
aufmerksamer Weise für dich (bereits)
das Protektionsportionderl der
weltbekannten
Spezialität der
Zeppezauerschnitte reserviert.
Hast du (dann endlich)
gegessen, willst du dafür zahlen.
So rufen sie dir selbst und
dann einander das Wort zu: »Zahlen!«, »Zahlen!!«,
»Zahlen!!!« – keiner aber hörts. Der Mann, den du bezahlst, weil du ihm
zahlst, ist tief beleidigt, kommt nicht, tötet sich vermutlich in der Küche.
Ein (Kelln)er ruft dir
plötzlich das Memento (mori als
Mahnung an irdische
Vergänglichkeiten zu): »Sosss bittee!«
Du weißt nicht, was
es soll bedeuten, willst (schon)
verzweifeln, da
gewahrst du, wie ein bleicher, käsweißer Mann durch dieses Wirrsal schreitet
und auf dich zukommt, – der Todesengel ist es! – denn der
Augenblick ist da,
dich, dem der Lebensmut
schon sank, zu grüßen. (Gott sei gedankt!) Es gibt noch Grüßer. – Nein,
es gibt nur Grüßer!
Du bist ein Raunzer;
Mach den Versuch, flieh aus
d(ies)er Hölle,
nimm den nächsten Wagen,
wenn du ihn kriegst,
das heißt, wenn er nicht (schon)
»bstöllt« ist.
Dann aber wird der Kutscher selbst dich rufen,
denn er hat heut noch keine
Fuhr gehabt.
Er mietet dich.
Er trinkt noch
schnell Kaffee, das Pferd steht da, nachdenklich wie der Mensch kreuzt es die
Beine, kriegt dann selbst ein Futter, dann deckt der Mensch es ab und nimmt die
Decke, womit der Mensch den Taxameter zudeckt, damit kein Mensch ihn nie mehr
sehen kann.
Bist du so weit und ist es
dir gelungen,
den Wagenschlag zu öffnen
und zu schließen,
so wird er wieder aufgehn,
eine fremde
Persönlichkeit steht da mit
nackten Füßen,
läßt Wind und Regen ein,
verlangt dafür –
und weil's ihr ohne deine
Hilfe glückte und
ohne ihre Hilfe dir gelang,
den Wagenschlag
zu öffnen und zu schließen
– für diese
beiderseitige Mühewaltung Belohnung;
hat sie sie, so schließt
sie ihn.
Willst du dann weiter
kommen, so steig aus;
kommst trotzdem weiter
nicht,
denn »bitte links», »bitte
links« mußt du ja gehen,
(der Polizist hat’s dir ja
vorgeschrieben)
doch es geht nicht, alles
bleibt stehn
und geht es, geht
es rechts und links.
Ein Pferd fällt: steht der Mensch; doch nicht aus
Mitleid.
Fällt keines, steht er auch
– aus Neugierde.
In solchem Falle geht es
erst nicht weiter,
nicht Pferd, nicht Mensch.
Nichts geht im Leben weiter.
Es geht zugleich und steht,
drum stolpert es.
Dies Unwesen, anstatt im
Bund der Zucht,
die nichts als Zucht ist,
endlich sich zu bändigen,
entartet an dem
Vorbild immer mehr.
Sie durften schweigen und
sie mußten rufen –
so schreien sie. Die
»Extraausgabee!«,
»Extraausgabee!«,
»Extraausgabee!« –
das ist ein Ruf, der
anderwärts, so traurig
solch Ende ist, das Leben
selbst bedeutet.
Wo Leben nur Betrieb ist
und Betrieb das Leben,
in Berlin, gehörts dazu, fällt
nicht aus dem Ensemble, Mann und Ruf.
Wo Menschen singen, ist
auch dieser Ruf Musik.
Musik kann eine Plage sein,
doch sie gehört dazu, bleibt im Choral.
Hier ist Diskant von Leben
und Betrieb. In Wien.
Ein gräßlicher Proletenton dringt vor
und etabliert sich
als das Weltgeräusch.
Triffst du hier ein, kommst mit der Südbahn an,
Unglück genug; kein Wagen
weit und breit (zu finden),
doch hörst du, daß
»Kragujevaz erobert!« (sei)
Du nicht und keiner, der es
ruft, und niemand
weiß damit etwas anzufangen.
Keiner hilft beim Gepäck
dir, doch ein ganzer Chor
von Aufgeregten, die aus
eigenem Antrieb, nicht von Hotels entsandt sind, streckt ein Blatt entgegen
dir, ein Zeitungsblatt, sie sagen Dir, was drin steht,
einstimmig sagen sie, weil
du's nicht glaubst:
soeben sei
»Kragujevaz erobert!«
Nichts wirst du sehn als
Mäuler.
Keuchend rast durch
menschenleere Gassen einer,
weckt das tote Leben aus
dem Schlaf und ruft
und gibt nicht nach:
»Krakujefaz eropaat!«
»Fenädig pompatiert!« versetzt ein andrer,
zwei laufen um die Wette,
wie bereit,
sich zu »derstessen« für
das Vaterland,
sich aufzuopfern für die
letzte Wahrheit,
(daß) die nordfranzösische
Festung »Mobösch«,
sprich
»Maubeuge», sprich »Mohnbeugl«,
sei, wie es sich
von selbst versteht, »gefallen«.
Wie aus dem Ziehbrunnen
stöhnt es empor,
ein (das) Weh der (ganzen) Menschheit
(fasst dich an)
(und dich erfasst ein
längst entwohnter Schauer):
»Eeextraausgabää – !«
– »Eeextraausgabää – !«
Dann wieder brüllt
es: »Zweate Oflagee vom Tagblad!«
»Weltblad! Extraausgabää
-!« »Teitscha Bericht!« drischts (unablässig) auf deinen
(wunden) Schädel ein.
Bald ist es Jamma, bald ists Anklagee,
oft hörst du nur ein
windverwehtes
» - - bääa - «, » -
- bäää - «, » - - bäää - «.
Ich sitz' am Schreibtisch, schreibe dieses Lied,
schließt sich der
Vers nicht, hör' ich draußen:
» - - bäää - !«, » - - bäää - !«, » - - bäää - !«.
Schlag vier beginnt es.
Nicht allein Tragöden,
auch Humoristen wachsen aus der Erde.
Ein Mäderl von acht Jahren
bietet dir
»achttausend Russen für
zehn Heller« an,
und »hunderttausend tote
Italiena«
bekommt man um denselben
Preis – warum nicht,
dem Wiener ist's Musik,
kein »Kusch« erwidert.
Ostpreußisch-Masurisch
Ende ist eine Schlamastik –
verglichen mit dem Wiener Kot – ein Gspaß.
Ein blasser Bettelbub sagt seinen Spruch,
steht neben deinem Tisch,
doch nicht wie einst:
die Eltern seien beide im Spital,
sondern mit Leichenbittermiene
sagt er,
wie ein Geheimnis:
»Schwere Niederlage der Italiener.«
Dafür kriegt er Geld.
Klein Zaches hüpft
von Tisch zu Tisch, verbeugt sich:
»Ssick über Ssick!
Gewaltiger Ssick« errungen vom Hindenburg, Rußland und Frankreich fertig,
Gott strafe England, und
vernichte gleich Italien!
Ist dies geschehn,
entspringt er – (und) man lacht.
Dort kriecht etwas und kreischt,
»zurückgeworfene Russen« anzubieten!
Galiziens Flut fand
Anschluß an den Strom,
deß Katarakt uns lärmend
überfällt.
Hier an der Kärntner-Ecke, (an) der Sirk-Ecke,
wo das Leben sich brandend
bricht, Wähh!
Bricht, (ja,) weil vor ihm
selbst ihm schlecht wird,
hörst du am lautesten die
Mißtöne
des völlig ungenierten Hinterlands.
Du siehst den Flüchtling
Isaak Willichfort, der nicht
wie mancher reichere
Landsmann in der Pension wohnt, welche »Wiezuhause« sich nennt,
hier siehst du ihn im (Juden)Kaftan
stehn, und hörst, wie er den Tonfall hat gelernt und
wie er lockruft:
»Eextra-osgabee! Koofen
Sie ab mir meine liebe Cherrn!«
Hier läuft ein Weib mit
einem Naschmarktmaul
und regt sich an
der neuen Meldung auf, besagend, das serbische »Schaabaaz« sei grade jetzt
»gefaalen».
Hier wiegt sich eine in den
Hüften, wirft
so für sich selbst es hin:
»Halb Serbieen eropaat!«,
lächelt, geht und
gibt es weiter.
Zwei (Bein)Stümpfe und ein
offener Mund stehn da.
Kein Invalide dieses
Weltkriegs ist es,
ein Krüppel ist es, mit
Persönlichkeit.
Stellt sich (laut) verkündend
(quer) übern Fahrweg hin,
richtet
ein (militärisch) Standrecht so auf Stelzen auf,
als wär der (sein) Rumpf
allein auf dieser Welt,
in ihm das ganze Krüppeltum
der Welt verkörpert,
nein, (falsch) der Weltkörper
verkrüppelt.
Mit dumpfem Ruf entschädigt
sich der Rumpf:
»Extrrausgabee! Halb
Serrbien ganz arrobat!«
So pflanzt er sich auf seinen Hölzern (Holzprothesen) auf,
daß der Betrieb
hindurch muß, wenn er kann.
Hier klingts wie Streit,
dort rufen sie um Hilfe,
(doch) sie kommen schon.
Was aber sieht man hier?
Schweigende gehn auf Krücken, unbeachtet,
zuckende Leiber,
Höllenbrand im Auge.
Verweist der Ruf auf sie?
Wird ihnen Hilfe?
Dazwischen Leiber, die
nicht Narben haben,
doch Heereslieferungen, und
es fällt das Wort,
der Lieferant sei auch nicht zu beneiden,
das Friedensrisiko sei, nebbich, groß. – –
Nun aber bleibet stehn, habt acht und seht,
herzbrechend Schauspiel
hier vorüber geht.
Die große Zeit persönlich
schleppt sich weiter
und das ist eine Bettlerin.
Begleiter:
ein Kind an der Hand, ein
Säugling auf dem Arm,
ganz arm ist sie; die
Stimme, kein Alarm,
ist nur ein Seufzer, nur
das eine Wort,
ein einziger Fluch, von
dieser Lippe fort
schleicht er sich
weltwärts: »Neue Freie Presse!«
Das Kind begleitet: »Neue
feile Pesse!«
Es lallt der Säugling: »Leie leie lelle!«
Im Anfang war das Wort.
An dessen Stelle wird jetzt das Wort
der Welt das Ende bringen.
Die Amme Zeit wird so in
Schlaf sie singen.
Mit solchem Rufe werden sie
geboren.
So rufen sie dem Welttod in
die Ohren.
Und hört er noch nicht,
bleibt's wie eh und je –
dann brüllt es ewig
»Eeextraausgabeee - !«
»Eeextraausgabeee - !«
– »Eeextraausgabeee - !«)
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Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.
Der Nörgler:
Halten Sie es im Bereich organischer Möglichkeiten für denkbar, daß ein Eskimo
und ein Kongoneger auf die Dauer sich verständigen oder gar miteinander
Schulter an Schulter kämpfen können? Ich denke, höchstens wenn es ein Bündnis
gegen Preußen gilt. Die Verbindung zwischen einem Schöneberger und einem
Grinzinger scheint mir unpraktikabel.
Der Optimist:
Warum denn?
Der Nörgler:
Es ist in alten Mären, auf welche die Nibelungentreue zurückzuführen ist, der
Wunder viel geseit. Aber was sind diese gegen die wunderbaren, märchenhaften
Verbindungen der blutlebendigen Gegenwart? Denn sehen Sie: noch nicht einmal
telephonieren können und nichts als telephonieren können – das mag wohl
zwei Welten ergeben; aber läßt es eigentlich ihre seelische Verbindung zu, da
kaum eine telephonische zustandekommen könnte? Lassen sich zwei Wesen Schulter
an Schulter denken, deren eines die Unordnung zum Lebensinhalt hat und nur aus
Schlamperei noch nicht zu bestehen aufgehört hat, und deren anderes in nichts und durch nichts besteht als durch Ordnung?
Der Optimist:
Das Vorbild des Bundesbruders, dessen im Frieden bewährte
Organisation –
Der Nörgler:
Sie würde sich an dem Vorbild der Schlamperei lockern, wenn sie nicht ohnedies
in diesem Krieg kaputt gehen müßte. Die äußere und innere Ordnung der deutschen Welt ist
eine Hülle, die bald geborsten sein wird. Dann mag es Schulter an Schulter mit
uns mißglücken.
Der Optimist:
Meinen Sie, daß etwa die deutsche Beamtenschaft in ihrem erprobten
Pflichtgefühl je nachlassen oder gar korrumpiert werden könnte?
Der Nörgler:
Als ein Symbol der deutschen Entwicklung ist mir jüngst an der
deutsch-schweizerischen Grenze ein uniformierter Bahnfunktionär
entgegengetreten, der mir neben der Kassa die Umwechslung der Valuta zu einem
besseren Kurs als dem, den die Bahn zahlt, flüsternd anbot.
Der Optimist:
Wo Sie sittlichen Verfall sehen, sehe ich –
Der Nörgler:
Seelenaufschwung. Diese Vision wird jene Wirklichkeit noch fördernd
beeinflussen. Unter der Ägide der sich selbst belügenden Kriegslüge wird das
Chaos unendlich werden. Die ins Rollen gebrachte Quantität wird entgleisen.
Der Optimist:
Und wir in Österreich?
Der Nörgler:
Werden kaum nötig haben, herunterzukommen. Bei uns war schon im Frieden Krieg
und jeder Konzertschluß ein ungeordneter Rückzug. Wir werden eher durchhalten.
Der Optimist:
Im Treubund gibt es keine Rivalität. Er hat sich bisher bewährt und wir werden
auch zusammen kämpfen bis zum Ende.
Der Nörgler: Das glaube ich auch. Nur werden in der gemeinsamen
Verwirrung die Sprachen verschieden sein.
Der Optimist:
Gemeinsam ist die des Schwertes. Wir sind mit den Deutschen verbunden auf
Gedeih und –
Der Nörgler: –
Verderb!
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