2-29. Szene                                                                                                                                                                                    Optimist & Nörgler (7)

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Optimist, Nörgler

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Ja, was wäre dann nach Ihrer Ansicht der Heldentod?

Der Nörgler: Ein unglücklicher Zufall.

Der Optimist: Wenn das Vaterland so dächte wie Sie, würde es gut aussehn!

Der Nörgler: Das Vaterland denkt so.

Der Optimist: Wie, es nennt den Heldentod ein Unglück, einen Zufall?

Der Nörgler: Annähernd, es nennt ihn einen schweren Schicksalsschlag.

Der Optimist: Wer? Wo? Es gibt keinen militärischen Nachruf, wo nicht davon die Rede wäre, es sei einem Soldaten vergönnt gewesen, den Tod für das Vaterland zu sterben, und es erscheint keine Parte, in der nicht der bescheidenste Privatmann, der wohl sonst von einem schweren Schicksalsschlag gesprochen hätte, in schlichten Worten, gewissermaßen stolz bekanntgäbe, sein Sohn sei den Heldentod gestorben. Sehen Sie, zum Beispiel hier, in der heutigen Neuen Freien Presse.

Der Nörgler: Ich sehe. Aber blättern Sie im Text zurück. So. Hier dankt der Generalstabschef Conrad von Hötzendorf dem Bürgermeister für dessen Kondolenz »anläßlich des grausamen Schicksalsschlages«, der ihn getroffen hat, da sein Sohn gefallen ist. Er hat auch in der Todesanzeige so gesprochen. Sie haben ganz recht, jeder Ratenhändler, dessen Sohn gefallen ist, nimmt die staatlich vorgeschriebene Haltung des Heldenvaters an. Der Chef des Generalstabs entsagt der Maske und kehrt zum alten bescheidenen Gefühl zurück, das hier wie vor keinem andern Tod berechtigt ist und in der konventionellen Formel noch lebt.

Eine bayrische Prinzessin hat einem Verwandten zum Heldentod seines Sohnes gratuliert. Auf solcher gesellschaftlichen Höhe besteht eine gewisse Verpflichtung zum Megärentum. Der Chef unseres Generalstabes läßt sich nicht nur kondolieren, sondern beklagt sich auch immer wieder über das grausame Schicksal. Der Mann, der eben diesem Schicksal doch etwas näher steht als das ganze Ensemble, als die Soldaten, die es treffen kann, und als die Väter der Soldaten, die es beklagen können – wenn schon nicht dessen Autor, so doch dessen Regisseur oder sagen wir verantwortlicher Spielleiter, und wenn das nicht, so wenigstens dessen Inspizient – eben der spricht vom grausamen Schicksalsschlag. Und er sagt die Wahrheit, und alle andern müssen lügen. Er hat mit seinem privaten Schmerz aus der heroischen Verpflichtung glücklich heimgefunden. Die andern bleiben darin gefangen. Sie müssen lügen.

Der Optimist: Nein, sie lügen nicht. Das Volk steht dem Heldentod durchaus pathetisch gegenüber und die Aussicht, auf dem Felde der Ehre zu sterben, hat für die Söhne des Volkes vielfach etwas Berauschendes.

Der Nörgler: Leider auch für die Mütter, die auf ihre Macht verzichtet haben, das Zeitalter aus dieser Schmach zu retten.

Der Optimist: Für Ihr zersetzendes Denken waren sie eben noch nicht reif. Und das Vaterland als solches erst recht nicht. Daß die Oberen so denken müssen, versteht sich von selbst. Der Fall, den Sie berührt haben, ist ein Zufall. Baron Conrad hat einfach etwas Konventionelles hingeschrieben. Er hat es sich entgleiten lassen –

Der Nörgler: Ja, ein Gefühl.

Der Optimist: Jedenfalls beweist der Fall nichts. Etwas anderes, das ich Ihnen zeigen will, beweist mehr und alles für meine Auffassung. Da werden selbst Sie einen Beweis haben –

Der Nörgler: Wofür?

Der Optimist: Für die geradezu zauberhafte Einigkeit, für dieses Zusammenstehn in gemeinsamem Leid, wo alle Stände wetteifern –

Der Nörgler: Zur Sache!

Der Optimist: Hier – warten Sie, das muß ich Ihnen vorlesen, damit ich auch sicher bin, daß Ihnen kein Wort entgeht:

                »Eine Kundgebung des Kriegsministeriums. Das Telegraphen-Korrespondenzbüro teilt mit: Das k. u. k. Kriegsministerium bewilligt, daß der gesamten Arbeiterschaft, welche in jenen Betrieben beschäftigt ist, die sich mit der Munitionserzeugung und Elaborierung sowie mit der Erzeugung von Trainmaterial befassen, der 18. August d. J. als besonderer Feiertag freigegeben werde. Bei dieser Gelegenheit sieht sich das Kriegsministerium veranlaßt, die besondere Pflichttreue und den unermüdlichen Fleiß aller jener Arbeitskräfte hervorzuheben, die unseren unvergleichlich tapferen Truppen durch ihrer Hände Fleiß mitverholfen haben, die hehren Siegeslorbeeren in todesverachtender Tapferkeit zu erwerben.«

Nun?

(Der Nörgler schweigt.)

Es scheint Ihnen die Rede verschlagen zu haben? Die sozialdemokratische Presse druckt es unter dem stolzen Titel: »Die Leistung der Arbeiter wird anerkannt«. Und wie viele dieser Arbeitskräfte mögen unglücklich darüber sein, daß sie zur Belohnung bloß einen Tag, wenn's auch Kaisers Geburtstag ist, frei bekommen –

Der Nörgler: Gewiß.

Der Optimist: – anstatt daß man ihnen die Genugtuung widerfahren ließe, sie endlich aus der Fabrik herauszunehmen –

Der Nörgler: Allerdings.

Der Optimist: – und ihnen Gelegenheit gibt, die Munition, die sie dort nur zu erzeugen haben, endlich auch an der Front erproben zu dürfen! Die Wackern sind gewiß untröstlich darüber, daß sie nur mit ihrer Hände Fleiß zu ihren Volks- und Klassengenossen stehen sollen und sich ihnen nicht auch ihrerseits in todesverachtender Tapferkeit anschließen dürfen. Die Gelegenheit, an die Front zu kommen, die höchste Auszeichnung, die einem Sterblichen –

Der Nörgler: Die Sterblichkeit scheint im Qualitätsnachweis hauptsächlich erfordert zu werden. Sie meinen also, daß die Zuweisung an die Front als höchster Lohn empfunden wird, nämlich von dem Empfänger?

Der Optimist: Jawohl das meine ich.

Der Nörgler: Das kann schon sein. Meinen Sie aber auch, daß sie als höchster Lohn vergeben wird?

Der Optimist: Das doch sicher! Es scheint Ihnen die Rede verschlagen zu haben.

Der Nörgler: In der Tat, und darum bin ich statt eigener Worte nur in der Lage, mich mit dem Text einer Kundgebung zu revanchieren. Ich werde sie Ihnen vorlesen, damit ich auch sicher bin, daß Ihnen kein Wort entgeht.

Der Optimist: Aus einer Zeitung?

Der Nörgler: Nein, sie dürfte kaum veröffentlicht werden können, Sie würde wie ein weißer Fleck aussehen. Sie ist aber in jenen industriellen Betrieben affichiert, die sich durch die Wohltat, unter staatlichen Schutz stellt zu sein, jede Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft vom Hals zu schaffen gewußt haben.

Der Optimist: Sie haben doch gehört, daß die Arbeiterschaft mit Begeisterung bei der Sache ist und höchstens unzufrieden, weil sie nicht anders mitwirken kann. Wenn sogar das Kriegsministerium selbst die Hingabe anerkennt –

Der Nörgler: Sie scheinen die Rede, die es mir verschlagen hat, ersetzen zu wollen. So lassen Sie doch das Kriegsministerium zu Worte kommen! »14. VI. 15. Dem Kriegsministerium wurde zur Kenntnis gebracht, daß das Verhalten der Arbeiter bei zahlreichen industriellen Betrieben, welche auf Grund des Kriegsleistungsgesetzes in Anspruch genommen sind, in disziplinärer und moralischer Hinsicht außerordentlich ungünstig ist. Unbotmäßigkeiten, Frechheiten, Auflehnung gegen die Arbeitsleiter und Meister, passive Resistenz, mutwillige Beschädigung von Maschinen, eigenmächtiges Verlassen der Arbeitsstätten etc. sind Delikte, gegen welche sich auch die Anwendung des Strafverfahrens in vielen Fällen als wirkungslos erweist –«

Der Optimist: Offenbar sind die Leute schon ungeduldig, an die Front zu kommen. Diese Auszeichnung wird ihnen vorenthalten –

Der Nörgler – Nein, sie wird ihnen angeboten: »Das Kriegsministerium, sieht sich daher zu der Verfügung veranlaßt, daß in solchen Fällen unbedingt die gerichtliche Ahndung in Anwendung zu bringen ist. Die diesfalls vorgesehenen Strafen sind empfindlich und können durch entsprechende Verschärfungen noch empfindlicher gestaltet werden, auch bezieht der Verurteilte während der Haft keinen Lohn, so daß die gerichtliche Verurteilung gerade in solchen Fällen ein höchst wirksames Abschreckungs- und Besserungsmittel sein dürfte –«

Der Optimist: Nun ja, das sind harte Strafen, und solche Elemente haben auch die Aussicht verwirkt, je noch an die Front geschickt zu werden.

Der Nörgler: Nicht so ganz.

»Jene kriegsdienstpflichtigen Arbeiter, welche bei gerichtlich zu ahndenden Ausschreitungen als Rädelsführer ausgeforscht werden, sind nach der gerichtlichen Austragung der Angelegenheit und nach erfolgter Abbüßung der Strafe nicht mehr in den Betrieb einzuteilen, sondern seitens der militärischen Leiter der betreffenden Unternehmungen dem nächsten Erg. Bezirkskommando behufs Einrückung zu den zuständigen Truppenkörpern zu übergeben. Dort sind diese Leute sofort der Ausbildung zu unterziehen und beim nächsten Marsch-Baon (Bataillon) einzuteilen. Ist der betreff. einrückend gemachte Arbeiter nur zum Bewachungsdienst geeignet klassifiziert, so ist Vorsorge zu treffen, daß derselbe nach erfolgter Ausbildung zu einem Wachkörper eingeteilt wird, der im Armeebereich oder nahe demselben gelegen ist. Für den Minister: Schleyer m. p. F.z.M. (manu propria – eigenhändig gezeichnet – Feldzeugmeister)«

(Der Optimist ist sprachlos.)

Der Nörgler: Es scheint Ihnen die Rede verschlagen zu haben? Sie sehen, daß Leute, die sich nach der Wohltat sehnen, an die Front zu kommen, dafür strafweise an die Front geschickt werden.

Der Optimist: Ja – sogar zur Strafverschärfung!

Der Nörgler: Jawohl, das Vaterland faßt die Gelegenheit, für das Vaterland zu sterben, als Strafe auf und als die schwerste dazu. Der Staatsbürger empfindet es als die höchste Ehre. Er will den Heldentod sterben. Statt dessen wird er ausgebildet und dem nächsten Marsch-Baon (Bataillon) zugeteilt. Er will einrücken, statt dessen wird er einrückend gemacht.

Der Optimist: Ich kann es nicht fassen – eine Strafe!

Der Nörgler: Es gibt Abstufungen. Erstens Disziplinarstrafe, zweitens gerichtliche Abstrafung, drittens Verschärfung der Arreststrafe und viertens, als die schwerste Verschärfung des Arrests: die Front. Die Unverbesserlichen schickt man aufs Feld der Ehre. Die Rädelsführer! Bei mehrfacher Vorbestraftheit wird der Heldentod verhängt. Der Heldentod ist für den Chef des Generalstabes, nämlich wenn ihn sein Sohn erleidet, ein schwerer Schicksalsschlag und der Kriegsminister nennt ihn eine Strafe. Beide haben recht – Dies und das – die ersten wahren Worte, die in diesem Krieg gesprochen wurden.

Der Optimist: Ja, Sie machen es einem schwer, Optimist zu sein.

Der Nörgler: Nicht doch. Ich gebe ja zu, daß auch wahre Worte im Krieg gesprochen werden. Besonders was die Hauptsache betrifft. Das allerwahrste hätte ich beinahe vergessen.

Der Optimist: Und das wäre?

Der Nörgler: Eines, das beinahe mit dem Einrückendgemachtsein versöhnen könnte, die Revanche für die Schändung der Menschheit zum Menschenmaterial: die Aktivierung auf Mob-Dauer! Nach Flak und Kag und Rag und all den sonstigen Greueln hat man einmal an diesen Sprach- und lebensabkürzern seine Freude. Gewiß, wir sind auf Mob-Dauer aktiviert!

Der Optimist: Ihr Verfahren entfärbt alle Fahnen des Vaterlands. Alles Lüge, alles Prostitution? Wo ist Wahrheit?

Der Nörgler: Bei den Prostituierten!
Weh dem, der sich vermißt, das Angedenken
gefallener Frauen nun gering zu achten!
Sie standen gegen einen größern Feind,
Weib gegen Mann. Nicht Zufall der Maschine,
der grad entkommt, wer ihr nicht grad verfällt,
hat sie geworfen, sondern Aug in Aug,
aus eigenem Geheiß, eins gegen alle,
im Sturm der unerbittlichen Moral
sind sie gefallen. Ehre jenen sei,
die an der Ehre starben, heldische Opfer,
geweiht dem größern Mutterland Natur!