2-8. Szene                                                                                                                                                                                              Der Wurstelprater

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Entrepreneur (Unternehmer) des Schützengrabens im Prater, Vertreter der Wiener Nachrichtenagentur Korrespondenz Wilhelm, sein Kollege, die Stimme des Erzherzogs Karl Franz Josef, Hofrätin Schwarz-Gelber, ungenannt sein wollender Oberleutnant, der in Schaumanns Apotheke Stockerau zu Gunsten des Roten Kreuzes den Betrag von 1 Krone erlegt hat, Oberstabsarzt im Kriegsministerium Doktor med. Erich Kunze, Patriot, Abonnent / Hofrat Sigmund Schwarz-Gelber / Provinzschauspieler die Schießübungen vornehmen, tausendköpfiges Publikum in dichten Reihen, Funktionäre, Würdenträger und Reporter im Vordergrund

 

Die Szene stellt einen Schützengraben dar, in welchem Provinzschauspieler Schießübungen vornehmen, telephonieren, schlafen, essen und Zeitung lesen. Der Schützengraben trägt Flaggenschmuck. Das tausendköpfige Publikum steht in dichten Reihen davor, zahlreiche Funktionäre, Würdenträger und Reporter im Vordergrund.

Der Entrepreneur: (Für das leichtempfängliche Kindergemüt kann wohl kaum etwas Fesselnderes gedacht werden, als der Schützengraben im Wiener Prater mit seiner Romantik, und so ist es begreiflich, daß wohl jeder Firmpate und jede Firmpatin in das für ihren Firmling zusammengestellte Unterhaltungsprogramm einen Besuch des Schützengrabens im Prater eingesetzt haben. Die naturgetreue Anlage des Schützengrabens mit seinen Unterständen, die vor ihnen errichteten Drahtverhaue, über die hinweg man die prächtigen Kautskyschen Prospekte sieht, die pittoresken Marineschauspiele, das malerische Panorama des brennenden Görz, das spannende Programm des Kriegskinos, die originellen Vorführungen der Kriegs- und Sanitätshunde, die Schießstätten und vieles andere nehmen das Interesse so in Anspruch, daß die Stunden, die im Schützengraben zugebracht werden, wie im Fluge vergehen. Militärkapellen konzertieren ununterbrochen und Gasthäuser und Kaffees bieten Gelegenheit zur Erfrischung. Der Schützengraben im Prater, diese neue populäre Veranstaltung des Kriegsfürsorgeamtes, ist täglich von 10 Uhr vormittags bis 11 Uhr nachts geöffnet.) – und hiermit empfehle ich den Schützengraben, welcher dem p. t. Publikum das Leben im echten Schützengraben täuschend vor Augen führen soll, dem edlen Zwecke der patriotischen Kriegsfürsorge und richte an Seine kaiserliche Hoheit das alleruntertänigste Ersuchen, den Schützengraben für eröffnet zu erklären.

Ein Vertreter der Nachrichtenagentur Korrespondenz Wilhelm (zu seinem Kollegen): Unter den militärischen und zivilen Notabilitäten bemerkte man u. a. –

Der Kollege (schreibend): (Ministerpräsident Graf Stürgkh, Minister des Innern Baron Heinold, Finanzminister Baron Engel, Arbeitsminister Dr. Trnka, Statthalter Baron Bienerth mit Gemahlin, als Vertreter des Kriegsministers GM. von Rochl, als Vertreter des Landesverteidigungsministers GM. von Xikolits, der Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuze FZM. von Ztdnik, der Leiter des Kriegshilfsbureaus Dr. Eduard Prinz von und zu Liechtenstein, Obersthofmeister Geheimer Rat Altgraf August zu Salm-Reifferscheidt-Raitz mit Gemahlin, Senatspräsident Emil Conte de Smechia), Angelo Eisner von Eisenhof, Flora Dub, Hofrat und Hofrätin Schwarz-Gelber –

Der Vertreter: Aber ich seh die nicht –

Der Kollege: No, ich weiß aber (doch, daß sie da sind).

Der Vertreter: Pst. Die Eröffnung erfolgt. Schreiben Sie: »Schlag 6 Uhr erfolgte... (Der Schützengraben im Prater zaubert uns ein Stückchen Krieg her. Die angewendeten Typen der Gräben, Unterkünfte und Schutzbauten entsprachen dem waldigen Termin der Karpathen, wo sich während des letzten Winters langwierige und hartnäckige Stellungskämpfe ergeben haben? jedenfalls wird durch die originellen Holzbauten das Leben unserer Truppen während des harten Karpathenwinters in besonders guter Weise veranschaulicht, wobei auch die Ausflüsse des stets bewiesenen Humors unserer braven Truppen nicht vergessen wurden. Aus Verkehrsrücksichten für die Zuschauer beim Besuche der Gräben wurden dieselben viel breiter als sie — wegen der notwendigen äußersten Einschränkung als Ziel für die feindliche Artillerie — sein sollten. Die gesamte Anlage samt dem Portal wurde nach den Plänen, Handskizzen und unter der Leitung des Oberstleutnants des Ingenieuroffizierskorps Josef Ritiner, welcher den Karpathenwinter in der Front mitmachte, von Mannschaften des Wiener Hausregimentes ausgeführt und hiebei von dem Oberstleutnant Karl Lerch des 84. Infanterieregiments und Landsturmingenieur Stricker unterstützt. Oberstleutnant Lerch ist vor kurzem von der Front zurückgekehrt. Es muß hervorgehoben werden, daß zahlreiche Wiener Firmen in selbstloser Weise das Unternehmen unterstützt haben, so die Firma Siemens & Schuckert-Werke, die Olso-Gesellschaft, Hutter & Schrantz, die Königshofer Zementfabrik, die Schefftelwerke, Heilpern & Haas, Posnansky & Strelitz, außerdem die Donauregulierungskommission und die Hofgärtnerei, die Anglodank, die Donaubaggerungsgesellschaft „Asra" u. v. a. Die gärtnerische Ausgestaltung leitete Stadtgartendirektor Hybler, welcher im Einverständnisse mit dem Wiener Magistrat alles in liebenswürdigster Weife zur Verfügung gestellt hat. Zahlreichen gärtnerischen Schmuck hatten kostenlos auch die Rothschildgärten geliefert.)«

Die Stimme des Erzherzogs Karl Franz Josef: Ich bin gerne gekommen, den Schützengraben anzuschauen. Ich bin ja selbst Soldat.

Das Publikum: Hoch! Hoch! Hoch!

Hofrätin Schwarz-Gelber (zu ihrem Gemahl): Hier sieht man nichts, komm, dorten wird man gesehn. (xxx)

 

 

 

 

 

 

(Es erfolgen Vorstellungen.)

(Das Publikum massiert sich und zerstreut sich hierauf. Es bilden sich Gruppen.)

Der ungenannt sein wollende Herr Oberleutnant, der in Schaumanns Apotheke, Stockerau, zu Gunsten des Roten Kreuzes den Betrag von 1 Krone erlegt hat (zu einem Herrn): Es ist zu hoffen, daß auch diese Veranstaltung, die sicherlich einem Gedanken oder einer Anregung ihre Entstehung verdankt, dem wohltätigen Zwecke manch namhaftes Sümmchen einbringen wird. Ich interessiere mich für alle auf die Kriegsfürsorge abzielenden Bestrebungen, ich bin nämlich, wie Sie mich da sehn, niemand anderer als der Spender des in Schaumanns Apotheke, Stockerau, von einem ungenannt sein wollenden Herrn Oberleutnant zu Gunsten des Roten Kreuzes erlegten Betrages von 1 Krone, Summe 1091 Kronen bar und 2000 Kronen Nominale Rente, hiezu der frühere Ausweis von 679 253 Kronen bar, macht 680 344 Kronen bar und –

Doktor Kunze: Was, so viel?

Der ungenannt sein wollende Oberleutnant: Ja, ja, das summiert sich. Ich hatte lange geschwankt, ob ich mit meinem Namen hervortreten solle, aber da ich, wo es sich um Wohltun handelt, ein abgesagter Feind jeglicher Publizität bin, so entschloß ich mich verborgen zu bleiben. Und die halbe Anonymität – das ist wieder die halbe Wohltätigkeit. Da sehen Sie, Otto Ni. aus Leitmeritz und Robert Bi. aus Theresienstadt gratulieren Rusi Ni. in Wien zum freudigen Familienereignis: »Gut is 'gangen, nix is g'scheh'n!« – 2 Kronen 7 Heller, rechnet man aber hiezu den früheren Ausweis, so kommt bloß 576 209 Kronen 52 Heller heraus. Da stehe ich ganz anders da, ganz abgesehen davon, daß ich ja allein war und keineswegs erst den Anlaß einer glücklichen Entbindung gebraucht habe, um –

Doktor Kunze: Ich beneide Sie. Ich habe mehr getan, aber im Ganzen wars doch nichts. Wie Sie mich da sehn, bin ich nämlich niemand anderer als der Mann, der in seiner Jagdgesellschaft die Anregung gegeben hat, daß jeder Teilnehmer für den Kriegsfürsorgezweck das Scherflein von 2 K beitragen möge. Ich selbst habe natürlich den Anfang gemacht und meinem Beispiele haben sich denn auch alsobald die andern angeschlossen, so daß ich in der Lage war, es zu veröffentlichen. Ich hatte lange geschwankt, ob ich mit meinem Namen verborgen bleiben solle, aber da ich, wo es sich darum handelt, beispielgebend zu wirken, ein abgesagter Feind jeglicher Anonymität bin, so entschloß ich mich, hervorzutreten. Ich huldige denn da doch wesentlich anderen Anschauungen als Sie. Im Ganzen waren es also 26 Kronen, denn wir waren unser dreizehn. Das ist immerhin ein stattliches Sümmchen, aber freilich verglichen mit dem Resultat –

(Sie gehen im Gespräch ab.)

Der Patriot: In London haben sie etwas eine Spielerei, einen Schützengraben. Sehr gut hab ich da neulich in der Presse gelesen »Der Prinz von Wales im Schützengraben«. Natürlich dort treibt er sich herum, draußen war er noch nicht!

Der Abonnent: Sie tändeln mit dem Krieg.