2-9. Szene                                                                                                                                                 Semmering. Terrasse des Südbahnhotels

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(Anm. Der Semmering war ein beliebtes Ferienziel der „feinen Wiener Gesellschaft“, das Südbahnhotel sein Wahrzeichen, das der vermögenden Klientel eine entsprechende Kulisse zur Selbstdarstellung bot. Die Promenade auf der Höhenstraße hatte viel Ähnlichkeit mit einem Spaziergang um 1 Uhr mittags über den Graben. Die Arbeiterzeitung schrieb im März 1917: „Es hat sich heuer da eine Gesellschaft von Leuten eingenistet, denen nichts zu teuer ist, die einen plump-protzenhaften Aufwand treiben und denen es gar nicht lustig und toll genug hergehen kann. Bei dieser Sippschaft fließt der Champagner in Strömen. Tag für Tag oder besser Nacht herrscht hellster Jubel bis in die frühen Morgenstunden, dem Wahlspruch „Wein, Weib und Gesang" wird in der ausschweifendsten Weise gehuldigt und wahre Orgien werden gefeiert voll überschäumender Lebenslust und tollsten Übermutes. Man lebt da buchstäblich unausgesetzt in Saus und Braus, als gäbe es nicht anderwärts so viel Elend, als würden nicht fortwährend so viele Tausende an der Front für uns verbluten und als kämpften nicht in Wien allein die vielen Hunderttausende armer und ärmster Leute frierend und hungernd, mit bitterer Not.)

Jung und Alt, Bürgermeister Dangl, Groß und Klein, ein Getreuer des Semmering, schlafender Generaldirektor / Schakale und Hyänen, Dame die soeben mit tiefer Empfindung Heine rezitiert hat und reichen Beifall erntet, die Getreuen des Semmering

Alpenglühen. Jung und Alt, Groß und Klein ist versammelt. Man bemerkt Schakale und Hyänen. Eine Dame hat soeben mit tiefer Empfindung Heine rezitiert und erntet reichen Beifall. Die Getreuen des Semmering sind in stiller Betrachtung versunken. (Präsidenten Baron Eger und Gemahlin, Sektionschef von Bareck, Hofrat Dr. Zelinka, Hofrat Kaizl, Hofrat Conte Smecchie, Südbahndirektor Dr. Fall, Zentralinspektor Dr. Mündl, Dr. Botstiber und Frau, Fabrikanten Armbruster, Chefredakteur Klinenberger, Ministerialrat v. Fleißner, Hofrat Stukart, Regierungsrat Wiesmayer sowie Hofrat Deutsch, den erfolgreichsten und unermüdlichsten Bergsteiger und eminenten Distanzgeher im Semmeringgebiet.)

(Dame (in tiefer Empfindung):          

Schaust du diese Bergesgipfel

Aus der Fern’, so strahlen sie

Wie geschmückt mit Gold und Purpur

Fürstlich stolz im Sonnenglanze.

Aber in der Nähe schwindet

Diese Pracht, und wie bei andern

Irdischen Erhabenheiten

Täuschten dich die Lichteffekte.

Was dir Gold und Purpur dünkte,

Ach, Das ist nur eitel Schnee,

Eitel Schnee, der blöd und kläglich

In der Einsamkeit sich langweilt.

Oben in der Nähe hört' ich,

Wie der arme Schnee geknistert,

Und den fühllos kalten Winden

All sein weißes Elend klagte.

»O, wie langsam« – seufzt' er – »schleichen

In der Öde hier die Stunden!

Diese Stunden ohne Ende,

Wie gefrorne Ewigkeiten!

»O, ich armer Schnee! O, wär' ich,

Statt auf diese Bergeshöhen,

Wär' ich doch ins Thal gefallen,

In das Thal, wo Blumen blühen!

»Hingeschmolzen wär' ich dann

Als ein Bächlein, und des Dorfes

Schönstes Mädchen wüsche lächelnd

Ihr Gesicht mit meiner Welle.


»Ja, ich wär' vielleicht geschwommen

Bis ins Meer, wo ich zur Perle

Werden konnte, um am Ende

Eine Königskron' zu zieren!«

Als ich diese Reden hörte,

Sprach ich: »Liebster Schnee, ich zweifle,

Dass im Thale solch ein glänzend

Schicksal dich erwartet hätte.

»Tröste dich. Nur Wen'ge unten

Werden Perlen, und du fielest

Dort vielleicht in eine Pfütze,

Und ein Dreck wärst du geworden!«

Während ich in solcher Weise

Mit dem Schnee Gespräche führte,

Fiel ein Schuss, und aus den Lüften

Stürzt herab ein brauner Geier.

Späßchen war's von dem Laskaro,

Jägerspäßchen. Doch sein Antlitz

Blieb wie immer starr und ernsthaft.

Nur der Lauf der Flinte rauchte.

Eine Feder riss er schweigend

Aus dem Steiß des Vogels, steckte

Sie auf seinen spitzen Filzhut,

Und er schritt des Weges weiter.

Schier unheimlich war der Anblick,

Wie sein Schatten mit der Feder

Auf dem weißen Schnee der Koppen

Schwarz und lang sich hinbewegte.)

 

Beifall.

Jung: Weiß ist der größte Tourist. (Der erfolgreichste und unermüdlichste Bergsteiger und eminente Distanzgeher im Semmeringgebiet, von dem ein Humorist behauptet, er nütze die Zeit am Semmering so gewissenhaft aus, daß er auch Verspätungen der Südbahnzüge ins Kalkül ziehe und, falls diese Verspätungen es halbwegs gestatten, sogar zu Wiederholungen von Ausflügen auf den Sonnwendstein.) Er geht im Schritt, er geht im Trab oder, wenn keine Zeit is, geht er auch im Galopp. Er hat den Tarockzug noch nie versäumt.

Alt: Ein erstklassiges Alpenglühn. Schauts euch den Generaldirektor an am Fenster, sein Gesicht glänzt.

Dangl (kommt atemlos): Meine verehrten Gäste, soeben is aus Wien telephoniert worn, (Hauptstadt von Albanien) Durazzo is gfalln – große Erfolge bei Verdun!

Alle: Hoch (Bürgermeister) Dangl!

Groß: Ich hab stark den Eindruck, der Himmel is illuminiert wegen (der Eroberung von) Durazzo.

Klein: Heute kann man es genießen! Heut sind sie alle versammelt die unbedingten Verehrer des Semmering und die Getreuen.

Stimmengewirr: Wo is Weiß?

Bittich schrei nicht, (Hofrat) Stukart hört

Habts ihr gehört von Durazzo, Kleinigkeit

Das Panorama war fabelhaft

Begierig bin ich, ob er heut zurecht kommt

Nutzt nix, (heinrich) Heine ist und bleibt der gresste deutsche Dichter und wenn sie zerspringen

Ich hab den Sektionschef gegrüßt, er hat auch gegrüßt

Sie wern sehn, er wird in den Annalen fortleben

Am Sonnwendstein will er herauf hat er gesagt

Nicht wern sie Verdun bekommen!

Sind Sie eigentlich ein starker Esser? Ich bin nämlich ein starker Esser

Das Panorama war fabelhaft

Ich sag dir, im Schritt, er hat Zeit

Die Verluste müssen gesalzen sein!

Der muß auch hübsch verdienen

Wie sie das deklamiert hat, war ich effektiv begeistert

Wetten, er kommt heut im Trab

Der Doktor hat gesagt, unten steht es glänzend

Ich hätt noch drei Waggon

Wie er sich getauft hat, hat sie sich geschieden

Heut versäumt er aber ja, sag ich euch

Wenn ihr euch kugeln wollts, müßts ihr in die Josefstadt

Was heißt Truppentransporte? Der Tarockzug geht immer!

Das Panorama war fabelhaft

Dorten kommt er gelaufen, was hab ich gesagt, Weiß im Galopp!

 (Die Gesellschaft verzieht sich.)

Ein Getreuer des Semmering (im Abgehn): Laßts ihn schlafen, er macht sich Sorgen wegen der Metallablieferung.

Der Generaldirektor (schlafend, mit der Geste einer jähen Eingebung): Vergroben!

(Er erwacht.)