3-1. Szene                                                                                                                        Wien. Ringstraßenkorso. Sirk-Ecke (27. August 1916)

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(Anm. Rumänien war ursprünglich durch einen Bündnisvertrag an Deutschland und Österreich-Ungarn gebunden. Tatsächlich verlor dieses Übereinkommen aber zunehmend an Wert. Am 27. August 1916 erklärte Rumänien schließlich Österreich-Ungarn den Krieg. Nach ersten Erfolgen kam die Offensive jedoch zum Stehen. Der massive Gegenschlag deutscher, österreichisch-ungarischer und bulgarischer Truppen drängte die rumänischen Streitkräfte in die Defensive. Ende 1916 war mehr als die Hälfte Rumäniens in der Hand der Mittelmächte, Bukarest wurde am 6. Dezember 1916 eingenommen.)

5 Zeitungsausrufer, erster und zweiter Armeelieferant, 4 Offiziere, Mäderl, Mädchen, Weib, 2 Verehrer der Reichspost (Zentralorgan der christlich-sozialen Partei), alter Abonnent der Neuen Freien Presse, ältester Abonnent der Neuen Freien Presse, Krüppel mit zwei Stümpfen und Zeitungsblättern, Poldi Fesch, Gesang vorbeiziehender Einrückender älteren Jahrgangs, Fiakerstimme / Begleiter des Poldi Fesch, zwei Invalide / Larven und Lemuren, Gruppen

27. August 1916. Larven und Lemuren. Es bilden sich Gruppen.

(3.1.1)                                                                                                                                                                                      Zwei Armeelieferanten

1. Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Venedig bombardiert! Schwere Niederlage der Italiena!

Ein Armeelieferant: Wenn Sie das Abendblatt gelesen hätten, würden Sie keinen Moment zweifeln.

Zweiter Armeelieferant: War es als authentische Nachricht?

2. Zeitungsausrufer: Extraausgabee – 100.000 tote Italiena bittee –!

Erster Armeelieferant: Wenn ich Ihnen sag, wörtlich: (Der Leopold) Kramer gastiert ab 1. in Marienbad.

3. Zeitungsausrufer: Krakujefaz eropaat!

Zweiter Armeelieferant: Gottseidank, da bleibt meine Frau länger.

Erster Armeelieferant: Die Göttergattin?

4. Zeitungsausrufer: Zweate Oflagee vom Tagblaad! Teitscha Bericht!

(3.1.2)                                                                                                                                                                                                   Vier Offiziere (1)

1. Offizier (zu drei anderen): Grüß dich Nowotny, grüß dich Pokorny, grüß dich Powolny, also du – du bist ja politisch gebildet, also was sagst zu Rumänien?

2. Offizier (mit Spazierstock): Weißt, ich sag, es is halt a Treubruch wie Italien.

3. Offizier: Weißt – also natürlich.

4. Offizier: Ganz meine Ansicht – gestern hab ich mullattiert –! habts das Bild vom Schönpflug gsehn, Klassikaner!

Ein Mäderl: Achttausend Russen für zehn Heller!

Ein Mädchen (sich in den Hüften wiegend, vor sich hin): Kroßa italienischa Ssick!

Ein Weib (puterrot, im Laufschritt): Fenädig pompatiert!

3. Offizier: Was ruft die? Venedig –?

2. Offizier: Bin auch erschrocken – bist auch erschrocken – weißt, es is nur das andere.

3. Offizier: Ah so.

4. Offizier: Geh, hast denn glaubt, daß die Eigenen –

2. Offizier: Nein, ich hab glaubt italienische Flieger, no warum –

1. Offizier: Bist halt a Hasenfuß. Denkts euch, gestern hab ich a Feldpostkarten kriegt!

2. Offizier: Gwiß vorn Fallota!

3. Offizier: Du was macht er, der Fallota, is er noch immer so ein Denker? Oder erlebt er schon was? No ich erleb jetzt auch viel im Kriegsministerium.

(3.1.3)                                                                                                                                                                          Zwei Verehrer der Reichspost

(Es treten auf zwei Verehrer der Reichspost.)

Der erste Verehrer der Reichspost: Wir haben uns mit den Forderungen, die (Kriegsgott) Mars uns stellt, bereits abgefunden. Wir haben bisher seine Lasten tragen können und sind fest entschlossen, sie willig weiter zu tragen bis zum gedeihlichen Ende.

Der zweite Verehrer der Reichspost: Der Krieg hat auch seinen Segen. Er ist ein gar strenger Lehrmeister der Völker, über die er seine Zuchtrute schwingt.

Erster Verehrer: Der Krieg ist auch ein Spender von Wohltaten, ein Erwecker edelster menschlicher Tugenden, ein prometheischer Erringer von Licht und Klarheit.

Zweiter Verehrer: Der Krieg ist ein wahrer Lebensspender und Lichtbringer, ein machtvoller Mahner, Wahrheits-verkündiger und Erzieher.

Erster Verehrer: Welch einen Schatz von Tugenden, die wir schon im Sumpfe des Materialismus und Egoismus unseres Zeitalters erstickt glaubten, hat doch dieser Krieg schon gehoben.

Zweiter Verehrer: Hast schon Kriegsanleihe zeichnet?

Erster Verehrer: Und du?

Beide Verehrer: Wir haben uns mit den Forderungen, die (Kriegsgott) Mars uns stellt, bereits abgefunden.

(Ab.)

(3.1.4)                                                                                                                                                Zwei Abonnenten der Neuen Freien Presse

Ein alter Abonnent der Neuen Freien Presse (im Gespräch mit dem ältesten): Intressant, steht heut in der Presse, die morgige Nummer des ungarischen Amtsblattes wird die Verleihung des Titels eines königlichen Rates an den Prokuristen von Ignaz Deutsch & Sohn in Budapest Emil Morgenstern verlautbaren.

Der älteste Abonnent: Was jetzt alles vorgeht!

(Ab.)

 (3.1.5)                                                                                                                                                                                                  Vier Offiziere (2)

Ein Krüppel (zwei Stümpfe und ein offener Mund, in der einen Hand Schuhbänder, in der andern Zeitungsblätter, mit dumpfem Trommelton): Extrrasgabee! Halb Serrbien ganz arrobat!

3. Offizier: Ganz Serbien –?

Poldi Fesch (zu einem Begleiter): Ich sollte heut mit dem Sascha Kolowrat drahn, aber –

(Ab.)

4. Offizier: Das is noch gar nix, habts ghört, 100 000 tote Katzelmacher haben s' gfangen!

(Zwei Invalide humpeln vorbei.)

2. Offizier: Nix wie Tachinierer, wo ma hinschaut, unsereins schämt sich schon, in Wien zu sein.

(Einrückende älteren Jahrgangs ziehen vorbei. Man hört den Gesang:)

Einrückende (singen): In der Heimat, in der Heimat, da gibts ein Wiedersehn –

3. Offizier: Wißts was, gehmr (rüber) zum Hopfner!

4. Offizier: Heut is stier. Immer dieselben Menscher –

1. Offizier (indem sie abgehen): Weißt, mit Rumänien – das is dir also kein Gspaß – weißt, aber ich glaub halt, die Deutschen wern uns schon (herausreissen) –

(Ab.)

(3.1.6)                                                                                                                                                                                                                       Fiaker

5. Zeitungsausrufer: Extraausgabee –! Ssick auf allen Linien! Der Vormarsch der Rumänen!

(Man hört die Fiakerstimme:)

Fiakerstimme: Im Kriag kriag i's zehnfache!