3-13. Szene                                                                                                                                                                                     Landgericht Heilbronn

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Staatsanwalt, Einer aus dem Auditorium, Nachbar (auch aus dem Auditorium) / die Angeklagte, Zuhörer, weitere Mitglieder des Gerichtshofes

Revisionsverhandlung des Landgerichtes Heilbronn.

Der Staatsanwalt: – Im Juni dieses Jahres hat die Angeklagte ein Kind geboren, dessen Vater ein französischer Kriegsgefangener ist. Der Franzose, von Beruf Kellner, ist schon seit 1914 in Gefangenschaft geraten. Er war vom Ende 1914 bis 1917 auf dem Schloßgut. Hier wurde er mit den verschiedensten Arbeiten, vor allem mit Feld- und Gartenbestellung beschäftigt. An dieser Betätigung nahm die angeklagte Freiin selbst regelmäßig Anteil. In der Verhandlung vor der Strafkammer versuchte die Angeklagte, den französischen Vater ihres Kindes der Vergewaltigung zu beschuldigen. Damit fand sie beim Gericht allerdings keinen Glauben. Auffällig war, daß die Angeklagte diese Verteidigung zum erstenmal vorbrachte. Die Angabe war schon deshalb hinfällig, weil der gefangene Franzose nach dem Eintritt der Schwangerschaft noch volle sechs Monate auf dem Schloßgut beschäftigt blieb. So kam das Gericht zur Verurteilung der angeklagten Freiin. Sie erhielt eine Gefängnisstrafe von fünf Monaten. Wegen Fluchtverdachts wurde die sofortige Verhaftung der Angeklagten verfügt. In der Urteilsbegründung wurde betont, daß die bei der Verhandlung beliebte Art der Verteidigung (Beschuldigung des Gefangenen, er habe ein Verbrechen begangen) sowie die soziale Stellung und die Erziehung der Angeklagten erschwerend in Betracht komme, während ihre bisherige absolute Unbescholtenheit und ihre Unwissenheit in geschlechtlichen Dingen als Milderungsgrund angeführt wurden. –

                Hoher Gerichtshof! Angesichts der zum Himmel schreienden Milde dieses Urteils kann ich es mir ersparen, viel Worte zu machen. In materieller Beziehung ist der Tatbestand, der naturwidrige Verkehr mit einem Kriegs-gefangenen, hinreichend klargestellt. Es erübrigt sich, die unmoralische Wirkung, die von einem so empörenden Beispiel ausgeht, zu kennzeichnen. Ich zweifle nicht, daß der hohe Gerichtshof mit mir das Gefühl teilen wird, vor einem Abgrund zu stehen, vor dem die beleidigte Sittlichkeit sich durch nichts retten kann als durch die Erkenntnis: Wo käme das Vaterland hin, wenn jede deutsche Hausfrau so tief sänke!

(Bewegung.)

                In diesem Sinne bitte ich den hohen Gerichtshof, die Nichtigkeitsbeschwerde der Verteidigung zu verwerfen, dagegen die Strafe auf zwei Jahre zu erhöhen.

(Der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück.)

Einer aus dem Auditorium (reicht einem Nachbarn die Zeitung): Kolossale Erfolge unserer Bombenflieger nordwestlich von Arras und hinter der Champagnefront. Insgesamt wurden während der letzten drei Tage und Nächte 25 823 Kilogramm Bomben abgeworfen.

Der Nachbar: Die moralische Wirkung war gewiß nicht geringer als die materielle.