3-14. Szene                                                                                                                                                                                    Optimist & Nörgler (8)

> download Word-Doc

Optimist, Nörgler

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Die Entwicklung der Waffe bis zu Gas, Tank, Unterseeboot und 120 Kilometer-Kanone hat es so weit gebracht –

Der Nörgler: – daß die Armee wegen Feigheit vor dem Feind aus dem Armeeverband zu entlassen wäre. Aus dem militärischen Ehrbegriff heraus müßte die Welt für alle Zeit zum Frieden gelangen. Denn was die Eingebung eines Chemikers, die doch schon die Wissenschaft entehrt, mit der Tapferkeit zu tun haben soll und wie der Schlachtenruhm sich einer chlor-reichen Offensive verdanken kann, ohne im eigenen Gas der Schande zu ersticken, das ist das einzige, was noch unerfindlich ist.

Der Optimist: Aber ist es denn nicht gleichgiltig, welche Waffe den Tod bringt? Bis wohin gehen Sie in der technischen Entwicklung der Waffe noch mit?

Der Nörgler: Keinen Schritt weit, aber wenn's denn sein muß, bis zur Armbrust. Natürlich ist es für eine Menschheit, die es fürs Leben unerläßlich findet, einander zu töten, gleichgiltig, wie sie's besorgt, und der Massenmord praktischer. Aber ihr romantisches Bedürfnis wird von der technischen Entwicklung enttäuscht. Es sucht seine Befriedigung doch nur in der Auseinandersetzung von Mann zu Mann. Der Mut, der dem Mann mit der Waffe zuwächst, mag auch der Quantität gewachsen sein; er entartet zur Feigheit, wenn der Mann für die Quantität nicht mehr sichtbar ist. Und er wird vollends zur Erbärmlichkeit, wenn auch für den Mann die Quantität nicht mehr sichtbar ist. So weit halten wir. Aber es wird, in jenem Ratschluß des Teufels, der in Laboratorien erforschlich ist, noch weiter kommen. Tanks und Gase werden, nachdem sich die Gegner darin einander unaufhörlich übertroffen haben, den Bakterien das Feld räumen und man wird dem erlösenden Gedanken nicht mehr wehren, die Seuchen statt wie bisher nur als Folgeerscheinungen des Kriegs gleich als Kriegsmittel zu verwenden. Da aber die Menschen selbst dann der romantischen Vorwände für ihre Schlechtigkeit nicht werden entraten können, so wird der Befehlshaber, dessen Pläne der Bakteriologe ins Werk setzt wie heute der Chemiker, noch immer eine Uniform tragen. Den Deutschen dürfte der Ruhm der Erfindung, den andern die Schurkerei der Vervollkommnung zuzuschreiben sein, oder auch umgekehrt – wie es Ihnen hoffnungsvoller scheint.

Der Optimist: Durch ihre hochentwickelte Kriegstechnik haben die Deutschen schließlich bewiesen –

Der Nörgler: – daß sich die Eroberungskriege und Siegeszüge Hindenburgs von denen Josuas doch vorteilhaft unterscheiden. Dem Zweck, die Feinde zu vernichten und auszurotten, ist die neuere Methode besser angepaßt und ein Durchbruch nach »Vergasung« von drei italienischen Brigaden übertrifft eine jener entscheidenden Wunderwaffentaten Jehovas.

Der Optimist: Sie wollen also eine Ähnlichkeit des neudeutschen und des alt-hebräischen Eroberungsdranges behaupten?

Der Nörgler: Bis auf die Gottähnlichkeit! Es sind unter den Völkern, die eine welthistorische Rolle gespielt haben, die beiden einzigen, die sich der Ehre eines Nationalgottes für würdig halten. Während heute alle einander gegenüberstehenden Völker dieser verrückten Erde nur die Verblendung gemeinsam haben, im Namen desselben Gottes siegen zu wollen, haben die Deutschen wie einst die Hebräer sich auch noch ihren Separatgott zugelegt, dem die furchtbarsten Schlachtopfer dargebracht werden. Das Privileg der Auserwähltheit scheint durchaus auf sie übergegangen und unter allen Nationen, denen die Vorstellung, eine Nation zu sein, das Hirn verbrannt hat, sind sie diejenige, die sich am häufigsten agnosziert, indem sie sich unaufhörlich selbst als die deutsche anspricht, ja »deutsch« für ein steigerungsfähiges Eigenschaftswort hält. Aber der Zusammenhang zwischen der alldeutschen und der hebräischen Lebensform und Expansionsrichtung auf Kosten der fremden Existenz ließe sich noch ausbauen und vertiefen. Nur daß die alten Hebräer doch wenigstens ihr »Du sollst nicht töten!« im Munde führten und zur höheren Ehre Gottes mit dem Sittengesetz Mosis in einen so grauenhaften, aber immer wieder gefühlten und bereuten Widerspruch gerieten, während die neuen Deutschen den Kant'schen kategorischen Imperativ frisch von der Leber weg als eine philosophische Rechtfertigung von »Immer feste druff!« reklamiert haben. In der preußischen Ideologie ist freilich auch der Herr der Heerscharen durch landesübliche Begriffsverknotung zum Allerobersten Kriegsherrn und Vorgesetzten Wilhelms II. ausgeartet.

Der Optimist: Er ist eigentlich nur sein Verbündeter. Wer aber außer Ihnen geriete auf den sonderbaren Einfall, einen geistigen Zusammenhang zwischen Hindenburg und Josua zu entdecken?

Der Nörgler: Schopenhauer: der die Institution des Separatgottes, welcher die Nachbarländer verschenkt oder »verheißt«, in deren Besitz man sich dann durch Rauben und Morden zu setzen hat, des Nationalgotts, dem die Lebensgüter anderer Völker geopfert werden müssen, schon als gemeinsam befunden hat. Kant: der die Anrufung des Herrn der Heerscharen durch den Sieger als eine gut israelitische Sitte getadelt hat und jenem Wilhelm, der den Gedanken hatte, in einem Atemzuge Kant und den Herrn der Heerscharen anzurufen, schon antizipando übers Maul gefahren ist. Ich werde eine Gegenüberstellung, wie dieser Kantianer sich auf seinen Verbündeten dort oben bombenfest verlassen will und wie Kant ihn ermahnt, von solchem Treiben, das mit der moralischen Idee des Vaters der Menschen so sehr in Widerspruch stehe, abzulassen und den Himmel lieber um Gnade für die große Versündigung durch die Barbarei des Kriegs anzurufen – ich werde diese vernichtende und geradezu ausrottende Kontrastwirkung demnächst und zwar unter dem Titel »Ein Kantianer und Kant« in einem Berliner Vortragssaal erproben.

Der Optimist: Da könnte es Ihnen passieren, als lästiger Ausländer ausgewiesen zu werden.

Der Nörgler: Der bleibe ich auch im Inland. Und bliebe bei der Überzeugung, daß nach allem, was wir erlebt haben, »unser Herrgott entschieden mit unserem deutschen Volke noch etwas vor hat«. Und bliebe dabei, daß sich die Wesensverwandtschaft der beiden »Völker Gottes« bis in die äußersten Lebenstatsachen, in welche der den beiden Kulturen eigentümliche Verbindungsgeist einer geldromantischen Weltansicht ausstrahlt, noch verfolgen ließe. Sozusagen bis ins dritte und vierte Glied. Denn hier und dort wirken sie an dem Gesamtkunstwerk einer Lebensanschauung, nach welcher das, was der Welt ist, von dem, was des Geistes ist, betrieben wird, so daß Kriege wie Geschäftsbücher geführt werden, nämlich »mit Gott«. Und die alttestamentarische Reglements-vorschrift des »Aug um Aug, Zahn um Zahn« ließe sich bis in ihre buchstäbliche Anwendung als das Leitmotiv neudeutscher Kriegführung nachweisen, und es ist gewiß kein Zufall, daß kürzlich in einer offiziellen Verlautbarung unseres Kriegspressequartiers, das so gelehrig ist wie der dumme August hinter dem Schulreiter, jene Formel zur Rechtfertigung von Fliegerangriffen dienen konnte. Sie bringt in Wahrheit den Begriff der »Repressalien« zur Geltung. Und wer außer Ihnen spürte nicht die echt biblische Monotonie, mit der dieser Vergeltungs- und Vernichtungsdrang in den täglichen Berichten von der Sinai-Front (zwischen England und der Türkei) zum Ausdruck kommt?

Der Optimist: Sinai-Front? Von der liest man doch selten genug.

Der Nörgler: Täglich!