3-33. Szene Empfang
am Isonzo. Bei einem Abschnittskommando (Schalek 8)
(Anm. Zwischen März
und Juli 1916 besuchte Alice Schalek in der relativ ruhigen Zeit zwischen der
fünften und sechsten Isonzoschlacht die Isonzo-Front. Ihr vierter Bericht wurde
am 14. April 1916 in der »Neuen Freien Presse« unter dem Titel »Eine Mondnacht
auf dem Monte Sabotino« als Feuilleton veröffentlicht und war Teil ihrer
Berichtreihe
Kriegsberichterstatterin Alice
Schalek
Die Schalek: Als wir vom Kriegspressequartier
gestern in die Stellungen kamen, erlebte ich etwas Seltsames. Allnächtlich
marschieren die alten Arbeiter mit ihren Tragtieren durch die Feuerlinie, um
den Proviant zu den Stellungen zu bringen. Ich war gerade in diesen Anblick
versunken. Da unterbrach der Kommandant meine andächtige
Bewunderung durch den kräftigen Zuruf: »Ihr Hornviecher, ihr gottverdammten!
Werds auseinander-rücken! Müßt ihr von einer Granate alle gleichzeitig
hin werden?« Das galt natürlich nicht uns vom Kriegs-pressequartier, sondern
den alten Arbeitern, und er entschuldigte sich auch gleich darauf, denn er
begrüßte uns lachend mit den Worten: »Entschuldigen Sie den temperamentvollen
Empfang!« Ich kann nur bei allem Mitleid mit jenen armen alten Helden
konstatieren, daß ich der Schneid und der Liebenswürdigkeit der Offiziere meine
Anerkennung nicht versagen kann.
Ein
unvergeßliches Bild bot sich uns. Alle Herren waren zu unserem Empfange
versammelt. Sonst hockt jeder wohlgedeckt oder er schläft, jedenfalls hütet er sich
sehr, hier offen spazieren zu gehen. Aber weil der erste Kriegsberichterstatter
angekündigt worden ist, sitzen die Herren gemütlich wie im Rathauskeller
beisammen und erwarten uns. Mehr als das. Man hatte mit der Beschießung
gewartet, bis wir oben angelangt waren, weil sonst das Vergeltungsschießen uns
den Weg recht unangenehm hätte gestalten können. Dieses Verfahren hatte also
nicht nur für uns von der Presse, sondern auch für die Offiziere die
Annehmlichkeit, daß sie sich einmal im Freien zeigen konnten, und es hätte
schließlich auch den armen alten Arbeitern einen gefahrlosen Marsch gesichert,
wenn sie gleichen Schritt mit dem Kriegspressequartier gehalten hätten und mit
dem Proviant nicht später angekommen wären als wir. Ich kann aber daraus den Schluß
ziehen, daß es ihnen bei einiger Einteilung ganz gut ginge, nämlich wenn jeden
Tag Pressebesuch bei den Stellungen wäre, und daß dann die Gefahren der
Kriegführung für die Offiziere, für die Mitglieder des Kriegspressequartiers
und last not least für den einfachen Mann wesentlich abgeschwächt wären.
(Es
geht los. Tief unter uns breitet sich weithin die Landschaft aus. Bei klarem
Wetter sieht man von hier bis Venedig. Heute wogt dicker weißer Nebel durch die
Täler, oben aber ist die Nacht sternenklar und vom Mondlicht durchflössen. Aus
dem trüben Brodem ragt der italienische Stützpunkt wie eine Insel heraus,
regungslos und voll beleuchtet liegt er im fahlen Schein da. Wie ein Wehlaut
kommt es nun von weit her durch die Luft, anschwellend im Ton wie eine kunstvoll
geblasene Oboe, und verstärkt sich zu atemraubendem Brausen. Endlos dauert der
Laut, nicht auszuhalten lang. Man hat längst auf der feindlichen Deckung die
riesige weiße Sprengwolke gesehen und noch immer hört man den Flug des
Geschosses, der hier auf seinem Weg über tiefe Schluchten ein vielfaches Echo
erweckt. Dann erst prallt der furchtbare Krach an das Trommelfell.
Mitten
auf das Ziel hat der Volltreffer hingehaut. Und jetzt wieder einer, ein
dritter, ein vierter. Die graben dort heute nicht weiter. Von Süden und von
Osten kommen abwechselnd die Granaten und da wir nahe genug beim Ziel stehen,
nimmt es sich aus, als laufen sie auf uns zu. So lang dauert die Kanonade an,
bis der neue Graben verschüttet ist. „Jetzt brauchen sie zum Neubau wieder
einige Tage."
Der
letzte Schuß bleibt auf dem Kamm der feindlichen Bergflanke „hängen". Er
war zu niedrig gezielt und explodierte auf dem Fels. Grandios sieht das aus,
wie die Feuergarbe in die Nachtluft zerstäubt.)
(Die Offiziere: Weil uns (Luigi) Cadorna (der Chef des italienischen
Generalstabs) heute wiederum verschonte, weil die Granate wiederum gerade um
ein Viertelstündchen zu spät kam –
gab's Blumen, Kipfel, Kaviar,
so muß es sein, das ist doch klar.
Wir sind die bessern Herrn vorn Stab,
in diesem Punkt geht uns nix ab.
Wir gehn nicht in den Schützengraben,
weil s' dorten keinen Schampus haben.
Statt Kaviar auf Butterbrot
gibt's nix als
einen Heldentod.
Wir fressen, die dort müssen zahl'n.
Fürs Vaterland is's schön zu fall'n.
Und das weiß heut doch jedes Kind:
Wir fall'n nur, wenn wir b'soffen sind.
Cadorna, der hat uns schon wieder verschont.
[:Sehn S', solche Kontraste gibt's nur an der
Front:] )
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