3-33. Szene                                                                                               Empfang am Isonzo. Bei einem Abschnittskommando (Schalek 8)

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(Anm. Zwischen März und Juli 1916 besuchte Alice Schalek in der relativ ruhigen Zeit zwischen der fünften und sechsten Isonzoschlacht die Isonzo-Front. Ihr vierter Bericht wurde am 14. April 1916 in der »Neuen Freien Presse« unter dem Titel »Eine Mondnacht auf dem Monte Sabotino« als Feuilleton veröffentlicht und war Teil ihrer Berichtreihe
»Bei der Isonzoarmee«, die im April begonnen hatte und bis August fortgesetzt wurde. Ihre Berichte wurden in dem Buch »Am Isonzo« zusammengefasst und in einer Vortragsreihe öffentlich dem Publikum präsentiert. Für die Schalek ist ihr Besuch am Isonzo eine Gelegenheit zur Ästhetisierung des Krieges und zur Verherrlichung des militärischen Befehls.Wie viele andere von Kriegseuphorie erfasste, empfand Schalek den Krieg als Reinigung. Sie bewunderte die »Tatkraft«, die sich im Krieg zeigte. Aus der Weltenbummlerin wurde eine »Schlachtenbummlerin«. Der Krieg als »Kriegstheater« – ein Lieblingsbegriff von ihr – führte bei Alice Schalek zu einer Idealisierung des Soldatenlebens, wobei nicht die neutral wirkenden Kriegsfotos – rasch gemachte Momentaufnahmen - Anstoß erregten, sondern die von ihr dazu verfassten Kommentare, die Kriegsgeschehnisse verharmlosten und ihr den Ruf einer Kriegstreiberin einbrachten. Karl Kraus bezeichnete Schalek in der »Fackel« als »eines der ärgsten Kriegsgräuel, die der Menschenwürde in diesem Krieg angetan wurde«.)

 

Kriegsberichterstatterin Alice Schalek

Die Schalek: Als wir vom Kriegspressequartier gestern in die Stellungen kamen, erlebte ich etwas Seltsames. Allnächtlich marschieren die alten Arbeiter mit ihren Tragtieren durch die Feuerlinie, um den Proviant zu den Stellungen zu bringen. Ich war gerade in diesen Anblick versunken. Da unterbrach der Kommandant meine andächtige Bewunderung durch den kräftigen Zuruf: »Ihr Hornviecher, ihr gottverdammten! Werds auseinander-rücken! Müßt ihr von einer Granate alle gleichzeitig hin werden?« Das galt natürlich nicht uns vom Kriegs-pressequartier, sondern den alten Arbeitern, und er entschuldigte sich auch gleich darauf, denn er begrüßte uns lachend mit den Worten: »Entschuldigen Sie den temperamentvollen Empfang!« Ich kann nur bei allem Mitleid mit jenen armen alten Helden konstatieren, daß ich der Schneid und der Liebenswürdigkeit der Offiziere meine Anerkennung nicht versagen kann.

                Ein unvergeßliches Bild bot sich uns. Alle Herren waren zu unserem Empfange versammelt. Sonst hockt jeder wohlgedeckt oder er schläft, jedenfalls hütet er sich sehr, hier offen spazieren zu gehen. Aber weil der erste Kriegsberichterstatter angekündigt worden ist, sitzen die Herren gemütlich wie im Rathauskeller beisammen und erwarten uns. Mehr als das. Man hatte mit der Beschießung gewartet, bis wir oben angelangt waren, weil sonst das Vergeltungsschießen uns den Weg recht unangenehm hätte gestalten können. Dieses Verfahren hatte also nicht nur für uns von der Presse, sondern auch für die Offiziere die Annehmlichkeit, daß sie sich einmal im Freien zeigen konnten, und es hätte schließlich auch den armen alten Arbeitern einen gefahrlosen Marsch gesichert, wenn sie gleichen Schritt mit dem Kriegspressequartier gehalten hätten und mit dem Proviant nicht später angekommen wären als wir. Ich kann aber daraus den Schluß ziehen, daß es ihnen bei einiger Einteilung ganz gut ginge, nämlich wenn jeden Tag Pressebesuch bei den Stellungen wäre, und daß dann die Gefahren der Kriegführung für die Offiziere, für die Mitglieder des Kriegspressequartiers und last not least für den einfachen Mann wesentlich abgeschwächt wären.

                (Es geht los. Tief unter uns breitet sich weithin die Landschaft aus. Bei klarem Wetter sieht man von hier bis Venedig. Heute wogt dicker weißer Nebel durch die Täler, oben aber ist die Nacht sternenklar und vom Mondlicht durchflössen. Aus dem trüben Brodem ragt der italienische Stützpunkt wie eine Insel heraus, regungslos und voll beleuchtet liegt er im fahlen Schein da. Wie ein Wehlaut kommt es nun von weit her durch die Luft, anschwellend im Ton wie eine kunstvoll geblasene Oboe, und verstärkt sich zu atemraubendem Brausen. Endlos dauert der Laut, nicht auszuhalten lang. Man hat längst auf der feindlichen Deckung die riesige weiße Sprengwolke gesehen und noch immer hört man den Flug des Geschosses, der hier auf seinem Weg über tiefe Schluchten ein vielfaches Echo erweckt. Dann erst prallt der furchtbare Krach an das Trommelfell.

                Mitten auf das Ziel hat der Volltreffer hingehaut. Und jetzt wieder einer, ein dritter, ein vierter. Die graben dort heute nicht weiter. Von Süden und von Osten kommen abwechselnd die Granaten und da wir nahe genug beim Ziel stehen, nimmt es sich aus, als laufen sie auf uns zu. So lang dauert die Kanonade an, bis der neue Graben verschüttet ist. „Jetzt brauchen sie zum Neubau wieder einige Tage."

                Der letzte Schuß bleibt auf dem Kamm der feindlichen Bergflanke „hängen". Er war zu niedrig gezielt und explodierte auf dem Fels. Grandios sieht das aus, wie die Feuergarbe in die Nachtluft zerstäubt.)

 

 

(Die Offiziere: Weil uns (Luigi) Cadorna (der Chef des italienischen Generalstabs) heute wiederum verschonte, weil die Granate wiederum gerade um ein Viertelstündchen zu spät kam –

gab's Blumen, Kipfel, Kaviar,

so muß es sein, das ist doch klar.

Wir sind die bessern Herrn vorn Stab,


in diesem Punkt geht uns nix ab.

Wir gehn nicht in den Schützengraben,


weil s' dorten keinen Schampus haben.

Statt Kaviar auf Butterbrot
gibt's nix als einen Heldentod.

Wir fressen, die dort müssen zahl'n.


Fürs Vaterland is's schön zu fall'n.

Und das weiß heut doch jedes Kind:


Wir fall'n nur, wenn wir b'soffen sind.

Cadorna, der hat uns schon wieder verschont.


[:Sehn S', solche Kontraste gibt's nur an der Front:] )