3-41. Szene                                                                                                                                                                                 Optimist & Nörgler (10)

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(Anm. Leopold Graf Berchtold war Außenminister bei Kriegsausbruch 1914. Nach der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand plädierte Berchtold als Vertreter einer anti-serbischen Politik für einen militärischen Feldzug gegen Serbien. Er formulierte das Ultimatum an Serbien und drängte auf Krieg. Er schlug dem Kaiser die sofortige Kriegserklärung an Serbien vor und ersuchte um dessen Ermächtigung, diese an das serbische Außenministerium abzusenden. )

Optimist, Nörgler

Der Optimist und der Nörgler im Gespräch.

Der Optimist: Die Neue Freie Presse hebt mit Recht hervor wie vornehm es vom (ehemaligen Außenminister) Grafen Berchtold ist, daß er nun selbst an die Front abgeht, um mit dem Säbel in der Hand jenem Erbfeind, der seiner Politik die größten Schwierigkeiten bereitet hat, Aug in Aug gegenüberzutreten.

Der Nörgler: Sie meinen den treulosen Bundesgenossen, den der (Generalfeldmarschall) Conrad (von Hötzendorf) schon seit Jahren überfallen wollte? Was aber den Berchtold anlangt, so ist es wirklich fair von ihm und jetzt kann in der Tat eine Wendung zu unsern Gunsten eintreten, wiewohl ich, wie Sie wissen, über die Möglichkeit der Verwendung von Säbeln in diesem Krieg sehr pessimistisch denke. Sollte aber der Berchtold wider Erwarten keine Gelegenheit und den Erbfeind nicht zu Gesicht bekommen, weil derselbe den Stabsfressereien der k. u. k. Armee nicht zugezogen wird, so hat unser ehemaliger Minister des Äußeren jedenfalls seine Pflicht erfüllt; denn er hat sich ja gestellt.

Der Optimist: Ich sehe, Sie bleiben Ihrer Gewohnheit, alles niederzureißen, selbst vor den heroischen Vorbildern unserer kriegerischen Epoche treu. Hier haben Sie es in der »Woche«, den Grafen Berchtold in feldmäßiger Adjustierung. Dieses Bild –

Der Nörgler: – ist der Kriegsgrund.

Der Optimist: Wieso? Die Photographie wurde doch (viel) später als das Ultimatum (an Serbien) –

Der Nörgler: Gewiß, ein andres österreichisches Antlitz, eh sie geschehn, ein anderes zeigt die vollbrachte Tat; und doch sind beide identisch. Die Serben konnten das Ultimatum nicht annehmen, weil ihnen die(se) Photographie vorgeschwebt hat. Die Furcht Österreichs, daß sie es vielleicht doch annehmen würden, war ganz grundlos. Auch an eine »Lokalisierung« des Kriegs (auf Österrech und Serbien), die Österreich (der Kaiser) erhofft hatte, weil es (er) ungestört von der Welt Serbien trischacken wollte, war nicht zu denken, denn die Welt sah dieses Antlitz – im Traum.

Der Optimist: Ich verstehe Sie wieder einmal nicht.

Der Nörgler: Da tun Sie recht daran. Aber das Plateau von Doberdo (im Golf von Triest), wo hunderttausend Leben (in der fünften Isonzo-Schlacht) verwelkt und verwest sind, ist trotzdem eine Freudenau!

Der Optimist: Ich verstehe Sie nicht. Diese Photographie sagt Ihnen also –

Der Nörgler: – daß ein Renngigerl (wie Berchtold) die Weit in den Tod geführt hat!

Der Optimist: Nun beginne ich Sie zu verstehen. Aber das hat er doch nicht mit vollem Bewußtsein getan!

Der Nörgler: Nein, sonst wäre er keines und sonst hätte er's nicht getan. Das Niederschmetternde ist, daß er nicht bei vollem Bewußtsein war. Und daß dieses Argument ein Milderungsgrund für Staatsmänner ist und für Staatsoberhäupter, die doch schon von Gesetzeswegen für ihre Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden können. Sie waren alle nicht „bei vollem Bewußtsein“. Österreich kann nichts dafür! Es hat sich bloß von Deutschland Mut machen lassen, dieses in den Krieg zu zerren. Und Deutschland hat Österreich in jenen Krieg getrieben, den es nicht gewollt hat. Die dort sind die verfolgende Unschuld, und mir san eh die reinen Lamperln. Beide können nichts dafür.

Der Optimist: Dieses (Berchtolds) Gesicht spricht wirklich für ein gutes Gewissen.

Der Nörgler: Das ein sanftes Ruhekissen abgeben würde, wenn im Stabsquartier nicht ohnehin ein solches vorhanden wäre. Aber man ist vor dieser schlichten Uniform überzeugt, daß der Mann auch im Schützengraben vorlieb nehmen würde. Ein schlichter, wenngleich beherzter Zugsführer, ein Wiener Biz (Feschak), der mit den Händen an den Hüften, zwinkernd »Schau mir ins Augee!« zum Erbfeind sagt, der nur herkommen soll, wann er sich traut. Der einfache Staatsmann an der Front, ohne Ohrringeln, aber mit Armbanduhr, statt des Säbels eventuell ein Spazierstöckl statt der Virginier das (den Orden vom) goldene Vließ, das (der) aber wie gesagt vom reinen Lamperl bezogen ist. Er meint's nicht so, aber er stellt, wenn's sein muß, seinen Mann, und dank seiner eigenen Entschließung (xxx) vom August 1914 muß es bekanntlich sein. Alles in allem, weit entfernt von Hochmut und von Schwäche, weiter als von der Front; kein Tachinierer, aber ein Feschak.

Der Optimist: Diese Photographie –

Der Nörgler: – ist dem Verbrecheralbum der Weltgeschichte entnommen und wird bei der Verhandlung vor dem Weltgericht bei der Agnoszierung (Anerkennung) der Kriegsurheber gute Dienste tun. Das Original wird natürlich wegen Unverantwortlichkeit oder verminderter Zurechnungsfähigkeit freigesprochen werden.

Der Optimist: Wie wird sich die erweisen lassen?

Der Nörgler: Es wird unter anderm festgestellt werden, daß ein harmloser Rennstallbesitzer (wie Graf Berchtold) das Grey'sche Angebot (des britischen Außenministers Grey) an die österreichisch-ungarische Monarchie, zur Erlangung der von ihr angeblich gewünschten Genugtuung Belgrad und noch etliche serbische Orte zu besetzen, (tatsächlich) zwischen seinen Rennprogrammen (in der Freudenau) versteckt hatte. Denn England wollte wirklich die »Lokalisierung«, die sich Österreich auf andere Weise erhofft hat, weshalb es den einzigen Ehrenmann dieses Kriegs (den englischen Außenminister) den »Lügen-Grey« nennen ließ. Die Photographie (Berchtolds) wird (zwar) zur Entlastung des Täters beitragen, aber zur Überführung seiner sämtlichen Landsleute. Sie rechtfertigt in ihrer vollkommenen Schamlosigkeit die aggressiven Absichten unserer Feinde für den Fall, daß wir wirklich einen heiligen Verteidigungskrieg geführt haben sollten. Denn wenn es selbst bewiesen wäre, daß wir ein Recht hatten, uns an Serbien zu vergreifen, weil die ungarischen Schweine den serbischen den Markt gesperrt hatten, so würde noch immer dieses Dokument (diese Photographie) aufstehn und gegen uns zeugen!

Der Optimist: Ich bitte Sie – eine Photographie! Eine zufällige Aufnahme! Da haben wir im Krieg noch ganz andere Bilder zu sehen bekommen.

Der Nörgler: Sie meinen alle die andern, die im Weltkrieg gelächelt haben. Die Heerführer, die vor den Wunden ihrer Mannschaft verbindlich gelächelt haben. Ach, dieses Lächeln im Krieg war erschütternder als das Weinen! Der Photograph mußte sie nicht erst bitten, ein freundliches Gesicht zu machen, sie fanden ohnehin die Welt in Ordnung. Der (Armeeoberkommandierende) Erzherzog Friedrich, harmlos, als ob er nicht bis drei Galgen zählen könnte; (Erzherzog) Karl Franz Josef (der spätere Kaiser Karl I.), der Frontlächler, der dem Heldentod nicht gram sein kann und dem die große Zeit wie ein Walzertraum (als Operette) vergeht; der deutsche Kronprinz (Wilhelm), weit und breit beliebt als der »lächelnde Mosquito«, und alle die andern Lächler.

Schreibtafel her, ich muß mirs niederschreiben, daß einer lächeln kann, und immer lächeln, und doch (ein Schuft) ein General sein! Und dann die Damen dieser Feldredoute! Zum Beispiel die Erzherzogin Augusta, die Soldatenmutter, die, nachdem der Soldatenvater (Erzherzog Friedrich) seine Söhne mit Maschinengewehren vorgetrieben hat, den Menschen rasch noch vor dem Heldentod antritt und ihm als ein Symbol hingebender Vaterlandsliebe vorschwebt. Gegen diese Verschärfung der Pflicht, für die unga-rische Sache zu sterben, gibt es keinen Schutz und es ist ein Schauspiel, von dem sich der Genius der Menschheit, wenn's noch einen solchen gibt, zwar abwendet, aber die Ansichtskartenindustrie profitiert.

Der Optimist: Die aufopfernde Tätigkeit der Rote Kreuz-Schwestern dient doch in erster Linie dem Zweck, vor der Operation eines Schwerverwundeten –

Der Nörgler: – sich mit ihm photographieren zu lassen.

Der Optimist: Solche Photographien sind gestellt!

Der Nörgler: Dann ist die Verächtlichkeit umso besser getroffen. Auch die Photographie (des ehemaligen Aussenministers und Kriegshetzers) Berchtolds ist nur gestellt, um die abgründige Leere dieser Visage sinnfällig zu machen – die Leere, in die wir alle gestürzt sind und die uns verschlungen hat.

Der Optimist: Sie übertreiben. Ich gebe zu, daß diese Photographie uns zwar nicht schmeichelt –

Der Nörgler: Ausgestellt vor den Leichenfeldern, deren Hintergrund das sympathische Modell selbst beigestellt hat, trifft sie uns tödlich. Ich denke sie mir als einziges Lichtbild in diesen unsäglichen Finsternissen und habe die tröstende Gewißheit, daß diese Züge des österreichischen Antlitzes seine letzten sind. Wie wär's, wenn wir es mit dem Bilde jener ungezählten Märtyrer konfrontierten, die in Sibirien warten oder in französischen Munitionsfabriken geschunden werden, die auf (im Gefangenenlager) Asinara leben oder die vom Todeszug aus der serbischen Gefangenschaft in die italienische am Straßenrand verwest sind. Einer steht schon als Skelett da und öffnet noch den Mund wie ein verhungerter Vogel. Dies Bild hat ein Menschenauge geschaut und ich schaue es wieder. Wie wär's, wenn wir es diesem lächelnden Berchtold vorführten und alles Grausen einer Evakuation und alle lebendig Begrabenen und lebendig Verbrannten, die Schändungen halbmassakrierter Frauen, die von mitleidigeren Mördern erschossen werden! Ward nichts dergleichen für Welt und Haus photographiert? Und Berchtold, (immer) lächelnd, ward aufgenommen, als er's mit dem Feind aufnehmen wollte!

Der Optimist: Aber bedenken Sie, er ist doch nicht verantwortlich –

Der Nörgler: Nein, nur wir sind es, die es ermöglicht haben, daß solche Buben nicht verantwortlich sind für ihr Spiel. Wir sind es, daß wir in einer Welt zu atmen ertragen haben, welche Kriege führt, für die sie niemanden verantwortlich machen kann. Verantwortlich für das einzige, was wirklich verantwortet werden muß: die Verfügung über Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Besitz und Glück des Neben-menschen. Größere Kretins als unsere Staatsmänner sind doch –

Der Optimist: – die unserer Feinde?

Der Nörgler: Nein, wir selbst. Mit unseren Feinden haben wir nur die Dummheit gemeinsam, einen und denselben Gott für den Ausgang des Kriegs verantwortlich zu machen, statt uns selbst für den Entschluß, ihn zu führen. Was die Staatsmänner der Feind(e) betrifft, so können sie nicht dümmer sein als die unseren weil es das in der Natur nicht gibt.

Der Optimist: An den unseren läßt sich allerdings die Wahrnehmung machen –

Der Nörgler: – daß wir uns die Kriege ersparen würden, wenn wir sie an die Front schickten, also dorthin, wohin der (Graf) Berchtold oder seinesgleichen nie gelangen wird. Noch weiter aber als diese von der Front sind wir von einer Einrichtung des Staatslebens, wie sie die Spartaner gekannt haben, die bekanntlich auch solche Durch- und Durchhalter waren wie wir. Sie setzten ihre Kretins (schwachen Kinder, die mit Mängeln geboren wurden) auf dem (Gebirge) Taygetus aus, während wir sie an die Spitze des Staats und auf die verantwortlichen diplomatischen Posten stellen.

Der Optimist: Dort sind sie dann freilich in manchen Fällen

Der Nörgler: – nicht verantwortlich!