3-9. Szene Kriegsarchiv
Hauptmann, Schriftsteller Korporal Felix Dörmann, Dramatiker und
Journalist der Neuen Freien Presse Hans Müller / Ordonnanz mit Photographien
der Hinrichtung des Hochverräters Cesare Battisti, Robert Müller, murrende
Literaten (u.a. Rainer Maria Rilke, Franz Werfel, Anton Wildgans), Ordonnanz
mit Brief
Ein
Hauptmann. Die Literaten.
Der Hauptmann:
Sie
da, Sie arbeiten mir also die Belobungsanträge aus, als Theaterkritiker vom
Fremdenblatt wird Ihnen das ja nicht schwer fallen. –
No
und Sie, (Rilke,) also Ihr Föleton über die franzesische Büldhauerin, Auguste,
wie heißt sie nur, also so ähnlich wie Rodaun, sehr fesch war das gschriebn,
also mit Ihrer Feder wird Ihnen das ja nicht schwer fallen, das Vorwort für
unsere grundlegende Publikation »Unter Habsburgs Banner«, aber wissen S', was
Packendes muß das sein, was halt ins Gemüt geht und daß S' mir also naturgemäß
nicht auf Ihre kaiserliche Hoheit die durchlauchtigste Frau Erzherzogin Maria
Josefa vergessen! –
Und
Sie, Müller Robert, was is denn mit Ihnen, mir entgeht nichts, Ihr Artikel
damals übern Roosevelt war sehr frisch gschrieben, bißl zu viel Lob, schaun S'
also daß Sie mir den Aufsatz »Was erwarten wir von unserem Kronprinzen?« bald
abliefern! Sie haben sich ein bißl zu stark für die Ameriganer engagiert, aber
das soll Ihnen weiter nicht schaden. –
Sie,
was is denn mit dem »Doppelaar«, is der noch nicht
fertig? Lassen S' an frischen Wind durch die stählernen Schwingen des
Doppelaars sausen! –
Ja
aber was is denn mit Ihnen mein Lieber? Seit Sie aus dem Hauptquartier zurück
sind, legen Sie sich auf die faule Haut! Sie ham sich dort ein Leben angewöhnt!
Ich will Ihnen aber was sagen. Daß Seine kaiserliche Hoheit der durchlauchtigste
Herr (Armeeoberkommandant) Erzherzog Friedrich von Ihren Kriegsgedichten
begeistert ist, kann Ihnen genügen, mir genügt das noch lange nicht! Also
schaun S' dazu, daß der »Weihe-gesang an die
verbündeten Heere« bald abgliefert wird, sonst
kommen S' mir zum Rapport! –
Na,
Werfel, was is denn mit 'n Aufruf für (xxx) Görz? Nur net zu gschwolln, hören
S'? Alles mit Maß! Sie haben viel z'viel Gfühl, das is mehr fürs Zivül. –
Na
ja, Sie dort, selbstverständlich! Sie san ja ein Expressionist oder was, Sie
müssen immer eine Extrawurscht haben. Aber das nutzt Ihnen (hier) nix, grad von
Ihnen erwart ich, daß die Skizze »Bis zum letzten Hauch von Mann und Roß«, die
ich Ihnen aufgegeben habe, endlich in Angriff genommen wird, fix Laudon! Der
»Durchbruch bei Gorlice« is Ihnen ja nicht übel gelungen.
(Zu einer Ordonnanz, die eben eintritt)
Was is denn scho wieder? – Ah
richtig. (Die Photographien!) (Er
übernimmt Photographien) Sehr drastisch! Das sind nämlich die Aufnahmen von
der Hinrichtung vom (Hochverräter) Battisti. Ah, ah, unser Scharfrichter Lang (- der) is aber zum Sprechen ähnlich getroffen!
(Ins Fiebrige verzerrte Heurigenmusik setzt ein.
Die Hinrichtung Battistis. Lachende Soldaten umstehen den Leichnam, Neugierige
recken die Hälse. Die Hände über dem Haupt des Toten der fidele Scharfrichter.
Das österreichische Antlitz:
Aus Tod wird Tanz,
aus Haß wird Gspaß,
aus Not wird Pflanz,
was is denn das?
Is alles stier,
is's einerlei,
denn mir san mir
und a dabei.
Ein guter Christ
sagt: Kinder bet's,
und Henker ist
man nur aus Hetz.)
Der Hauptmann:
Also das is
für Sie dort zum Einreihen (Einsortieren)! Beschreiben (Beschriften) S' es und tun S' es zu
die andern, zu die tschechischen Legionäre und die Ukrainer und so. –
Und
das? Ja wie soll man denn das rubrizieren? Das is nämlich das prächtige Gedicht
über den Mullatschak bei Seiner kaiserlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn
Erzherzog Max am Monte Faë (in den Dolomiten), das is ein Fressen für unsere
Lyriker, passen S' auf:
Am Faë der
Kommandant
Hoheit
freundlich und charmant.
Froh begrüßt
er seine Gäste
Und bewirtet
sie aufs beste.
Offen hält er
Küch' und Keller.
Jeder sitzt vor seinem Teller.
Ujegerl, aber nacher gehts schief.
Da is dann die gspaßige Stelle, wie s' immer mehr aufladnen, bis einer also
naturgemäß nicht mehr weiter kann –
Knöpft sich
auf und macht sich los
Das Krawattl und die Hos'.
Na und am End wird also naturgemäß
gspieben. Das is gspaßig! Und was da noch alles passiert!
Doch die
Ordonnanz, schau, schau,
Hält er für
'ne Kammerfrau –
Kneift
mit zärtlichem Verlangen
Ihr den Arm
und die Wangen.
Doch darauf
für alle Zeiten
Wollen wir den Mantel breiten.
Sehr gut! Am nächsten Tag wird
dann also naturgemäß weitergsoffen.
Aus dem Faß
der letzte Tropfen.
Was, den Magen
sie zu stopfen,
Jeder sich
aufs Brot geschmiert
Und an Fetten
konsumiert –
No das kann man sich ja denken,
also darüber versteht sich waren dann also naturgemäß die Köche sehr ärgerlich,
aber die kaiserliche Hoheit hat a Freud ghabt. Na und wie s' nacher in ihre
Stellungen zruckkommen, ujegerl –
Jeder hat mit seinem Affen
Eine schwere Last zu schaffen.
Ausgschaut hams! – Also,
dieses Gedicht kommt schon deswegen für das Kriegsarchiv in Betracht, also
naturgemäß nicht bloß wegen dem Humor im Felde und weil darin die
Gastfreundlichkeit Seiner kaiserlichen Hoheit gefeiert wird, sondern auch
deshalb, weil es eine Raridät is! Es is nämlich in der Frontdruckerei im
schwersten Trommelfeuer gedruckt worn, da kriegt man einen Reschpekt, no und man
muß zugeben, daß es ein sehr ein geschmackvoller Druck is. –
Sie Korpral (Felix) Dörmann, da
nehmen S' sich ein Beispiel, geben S' Ihnerem Musenroß die Sporen, seit damals
wo Sie die Russen und die Serben in Scherben ghaut ham, sind Sie schweigsam
gworn. Was is denn? Das war doch so kräftig:
Und einen
festen Rippenstoß
Kriegt England und der Herr
Franzos.
Da waren S' der reine Dörmann in
Eisen!
Wir werden 's
euch schon geben.
Jetzt sollt
ihr was erleben.
Das große Maul
habt ihr allein,
Wir aber, wir, wir pfeffern drein.
Alstern – pfeffern
S' drein! – Was san S' denn so melankolisch? Na ja, ich kanns Ihnen
nachfühlen, daß Sie sich also naturgemäß lieber draußen (an der Front) betätingern
möchten als wie herint. Das is zwider.
Dörmann:
Ich neid es jedem, der da
draußen fiel.
Die Pflicht allein trennt mich vom
letzten Ziel!
Der Hauptmann: Das is brav, wie Sie mit gutem Beispiel vorangehn.
–
No und Sie, Müller Hans,
bei Ihnen braucht man keine Aufmunterung, Sie sind ja eh tüchtig. – Haben
S' wieder eine Fleißaufgabe gmacht? Da schau her, »Drei Falken über dem Lovcen
(Kalkmassiv über der Meeresbucht von Cattaro in Montenegro)«! – Das is
viel. Ich werde nicht verfehlen, über Sie mit dem (Chef des
Kriegs-pressequartiers) Herrn Generalmajor (von Hoen) zu sprechen.
Hans Müller: »Wir haben die größere Süßigkeit der Pflicht erkannt, wir zerbrechen
unter unsern Taktschritten ein unnützes Leben, das dem bunten Schein näher war
als der Wirklichkeit.«
Der Hauptmann: So is recht. Aber wissen
S', was mich intressieret? Jetzt möcht ich einmal aus Ihrem eigenen Mund eine
authentische Auskunft darüber, wie Sie bei Kriegsausbruch Ihren Mann gstellt
hab'n. Also das wunderschöne Feuilleton vom »Cassian im Krieg«, also wie S' da
das Ohrwaschel auf die russische Ebene legen, also das weiß man, das ham S'
also naturgemäß in Wien g'schrieben, also da war' mr alle paff wie S' das
troffen hab'n. Aber beim Kriegsausbruch – da waren S' doch persönlich
zugegen, in Berlin? Da ham S' doch also naturgemäß die Verbündeten abpusselt
– wissens S' da gibts aber Leut, die reden herum, daß Sie das auch in
Wien tan hab'n, auf der Ringstraßen, der Fackelkraus (behauptet das) und so,
wissen S' die Leut ham halt eine böse Goschen. Jetzt sagen S' mir also, wie
sich das verhaltet und ob Sie damals (wirklich) in Berlin oder nur in Wien
waren – das is doch etwas, was also naturgemäß für das Kriegsarchiv (enorm)
wichtig is!
Hans Müller: Herr Hauptmann melde
gehorsamst, männiglich weiß, daß ich den Kriegsausbruch effektiv in Berlin
mitgemacht habe und daß es sich genau so verhält, wie ich es in meinem
Feuilleton »Deutschland steht auf« am 25.
August 1914 (in der »Neuen Freien
Presse«) geschildert habe:
»(Berlin,
Stettiner Bahnhof. Wie eine Faust schnellt uns jäh die Wahrheit entgegen. Keine
Frage, kein Zweifel mehr, keine Antwort. Jeder, der den Fuß auf den Boden
setzt, weiß nun, daß es längst entschieden ist: Krieg auf Leben und Tod. Durch
eine schwarze Mauer von Menschen tasten wir uns Schritt vor Schritt weiter, und
dann durch eine fünfstöckige Häuserzeile von aufgestapelten Gepäckstücken. Ade,
mein guter brauner Koffer, ihr letzten Anzüge von Pompeji, ade! Was liegt
daran? Dort stürmen schon Reservisten die Treppen herauf, ihre Wangen sind ganz
rot, ihre Brust arbeitet atemlos, sie winken mit den Händen, sie dürfen als
erste fort an die ostpreußische Grenze, den Kosaken entgegen, Hurra! Wie ein
ungeheurer Glaspfropfen zerspellt ihr Ruf hoch oben am Eisengerüst des Bahnhofs,
Hurra! In dem terminalen »a«, das leuchtend durch die gewölbte Halle
nachzittert, breitet sich der Trotz eines ganzen Volkes aus: genug der
Stichelreden, genug des Neides, genug der versteckten Widersacher in Ost und
West, »fest steht und treu die Wacht am Rhein... «
Vor
dem Bahnhofstor ist man inmitten der Weltgeschichte. Der Nachmittag will schon
dunkel werden, die ersten Lichter flammen auf, in Rudeln und Schwärmen drängen
sich die Menschen um die Läden und Kandelaber. Ein Auto jagt vorüber, vom
Trittbrett schleudern zwei Männer Extraausgaben der Zeitungen unter die Leute,
und mit einer ekstatischen Gebärde, die etwas Erschütterndes hat, haschen die
Sorglosen die Einberufungsorder des Gevatters Tod aus der Luft: Rußland fällt
ein, Frankreich wirft Bomben, ganz Europa steht in Waffen wider uns, um so
besser, wir werden sie alle, alle kleinkriegen... Wie schade, daß man sich
einen Schriftsteller nennt, zehn Jahre an ein gewisses Worttalent geglaubt hat
und nun, in der Stunde des ersten grandiosen Erlebnisses, zu Zirkus Barnums
„Man muß es gesehen haben" seine Zuflucht nimmt. Dennoch, wer diese
Stunden in Berlin nicht selbst erlebt hat, wird ihren unerhörten Rhythmus wirklich
nicht nachfühlen können...
Friedrichstraße,
Unter den Linden. Das Herz der Stadt, schon in friedlichen Zeiten ein über die
Maßen lebhafter Muskel, klopft jetzt einen rasenden Takt. An jeder Ecke stülpen
sich die Nerven um. Hier fährt der Kronprinz in seinem Auto vorüber, den
kleinen blonden Erstgebornen neben sich, und das Jauchzen der Menschen wirft
sich dieser Zukunft entgegen wie ein Heer von Schwimmern in den Strom.)
Wir
standen keines Überfalls gewärtig, an der Neustädtischen Kirchstraße, soeben
war, ich sehe es vor mir, ein russischer Spion vom Rachen der Menge
verschlungen worden –
(An
der Neustädtischen Kirchstraße haben sie einen russischen Spion aufgebracht,
sie reissen ihm die falsche deutsche Marineuniform von der Brust,
zähneklappernd steht der schmale Bursche einen Augenblick da, dann verschlingt
ihn der Rachen der Menge. – Was ist hier ? Ein Zug von einfachen Leuten,
unsere gute schwarz-gelbe Fahne voran, bewegt sich in Viererreihen gegen das
Brandenburger Tor. „Hoch Österreich! Es lebe Kaiser Franz Josef!“ Hunderte
Stimmen fallen jubelnd in den Ruf ein, der Zug schwillt rasch über die ganze
Breite der Fahrbahn, plötzlich steigt aus seiner Mitte das herrliche, heilige
Lied der Volkshymne empor. Sie singen ihren Text dazu „Deutschland, Deutschland
über alles", aber da ich einen Augenblick verdutzt zuhorche, sagt mein
Marschiernachbar: „Na, na, kommen Se nur mit, es ist die österreichische Hymne,
natürlich, wir haben bloß die Worte nich so geläufig...“ „Gott erhalte, Gott
beschütze" singe ich darum laut zur nächsten Strophe.)
–
da sehe ich, wie sich ein Zug von einfachen Leuten, unsere gute schwarzgelbe
Fahne vorantragend, stracks gegen das Brandenburger Tor bewegt. Sie singen
unsere geliebte Volkshymne. Ich, nicht faul, singe mit. »Gott erhalte, Gott
beschütze« singe ich laut zur nächsten Strophe. Da schaut ein Marschiernachbar
mich eine Sekunde herzlich an, dann legt er seinen Arm unter den meinen, preßt
ihn kameradschaftlich an sich – «
Der Hauptmann: Aha, Schulter an
Schulter.
Hans Müller: » – und singt nun
von meinen Lippen den gleichen Text ab, den ich selber singe. Diesen Wackeren
– er war ein schnauzbärtiger Gesell, war nicht gerade schön und auch nicht
das, was man hochelegant nennt – habe ich vor der
österreichisch-ungarischen Botschaft auf den Mund geküßt.«
Der Hauptmann: Hörn S' auf! Also wann
das der (Botschafter) Szögyeny vom Fenster (der Botschaft aus) gsehn hat, wird
er a Freud ghabt hab'n.
Hans Müller: »Wahrscheinlich klingt
das in der Nacherzählung pathetisch – «
Der Hauptmann: Ah woher denn.
Hans Müller: » – und der Beifall
der Ultraästheten dürfte mir dafür nicht beschieden sein – «
(Murren unter den Literaten,
Oho-Rufe.)
Die Literaten: Oho! Oho!!
Der Hauptmann: Stad sein!
Hans Müller: »Aber ich weiß, daß, wenn
die Gioconda (Mona Lisa) dereinst selbst aus ihrem Rahmen stiege und mir das
einzige Lächeln ihrer Lippen darböte, ihre Umarmung mich nicht so im Innersten
beglücken und erschüttern würde, wie der Bruderkuß auf die Lippen dieses
wunderbaren deutschen Mannes.«
Der Hauptmann (gerührt): Das is brav von Ihnen! No und was ham S' in dera großen
Zeit sonst noch erlebt?
Hans Müller: Herr Hauptmann melde gehorsamst,
»ewig unvergeßbar wird mir
die Sommermittagsstunde bleiben, da Männer und Frauen im königlichen Dom zum
Altar traten, den Gott der deutschen Waffen anzurufen. Auf der Empore des Domes
sitzt der Kaiser, aufrecht, den Helm in der Hand, zu seinen Füßen, ein
schwarzes Meer – «
Der Hauptmann: Aha, da war er schon in
Konschtantinopel.
Hans Müller: » – wogen die
Gläubigen. Die Orgel braust gewaltig von oben herab, durch die Fenster bricht
die Sonne und wie ein heiliger Schrei hebt sich (das Lied der Gemeinde
empor zur Kuppel) – «
Der Hauptmann: Is scho guat, wissen S',
die Stimmungsmalerei intressiert mich weniger als was Sie damals persönlich
geleistet hab'n.
Hans Müller: (»Der Kaiser ist
aufgestanden, stehend singt er mit. Der greise Prediger Dryander, den
weißhaarigen Kopf vorgebeugt, die schmalen, dünnen Arme zitternd vor Erregung,
fleht den Segen des Herrn auf Deutschland herab, und seine Stimme verliert sich
in dem ungeheuren Raum wie ein unsichtbarer Vogel. Jetzt fallen Knabenstimmen
ein,) Frauen und Männer fassen sich an den Händen, die Orgel braust, der ganze
Dom rauscht und singt: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir!“ – «
Der Hauptmann: Zur Sache!
Hans Müller: Zu Befehl.
»Ein heißes Würgen steigt
mir in die Kehle, noch nehme ich mich fest zusammen, denn ich stehe inmitten
von lauter tapferen, beherrschten Männern, und in diesen Tagen darf man sich
nicht als Schwächling zeigen. Aber jetzt sehe ich auf den Kaiser Wilhelm, der
wie in einem unbeschreiblichen Übermaß von Erregung den bleichen Kopf senkt,
tief hinab, die erschütternden Klänge läßt er über seine Stirn
hinziehen – «
Der Hauptmann: Ah da schaurija!
Hans Müller: » – mit einer
inbrünstigen Gebärde preßt er den Helm dicht vor seine Brust. Da kann ich mich
nicht mehr retten – «
Der Hauptmann: Ja was is Ihnen denn
gschehn?
Hans Müller: » – ich schluchze
laut hinaus – «
Der Hauptmann: Gehst denn net.
Hans Müller: » – und siehe, die
tapferen Männer neben mir, grauhaarig und beherrscht, sie alle schluchzen ohne
Scham mit mir mit. Wissen sie auch, was dem armen unmilitärischen Gast in ihrer
Mitte das Herz aufwühlt? Durch den Schleier der jäh hervorstürzenden Tränen
sehe ich neben ihrem edlen Herrn einen anderen stehen, meinen eigenen Kaiser,
meinen ritterlichen, alten, gütigen Herrn – «
Der Hauptmann: Net plaazen Müller!
Hans Müller: » – und aus tiefster Seele mische ich jetzt
mein Gebet brüderlich mit dem ihren: „O Gott, der du über den Sternen bist,
segne in dieser Stunde auch Franz Joseph den Ersten, segne mein altes, teures
Vaterland, daß es stark bleibe und blühe – für und für – segne
meine Brüder, die jetzt für unsere Ehre hinausziehen zu Not und Tod, segne uns
alle, unsere Zukunft, unsere Faust, unser Geschick – Herr und Gott, der
du die Lose der Menschen und Völker in deinen Händen hältst, aus heißester,
inbrünstigster Heimatliebe rufen wir alle, alle zu dir ... « –
Herr Hauptmann, melde
gehorsamst, das ist der Schluß vom (von meinem) Feuilleton.
Der Hauptmann: Da steckt noch eine echte
Empfindung drin. – Sag'n S', was zahlt jetzt die Presse für ein Gebet
– ah – für a Feuilleton wollt ich sagen.
Hans Müller: Herr Hauptmann melde
gehorsamst, 200 Kronen, aber wahrlich, ich hätte es auch um Gottes Lohn getan!
Hei.
Der Hauptmann: Nein, Sie hab'n ja mehr
dafür kriegt. Ihnen is die höchste Ehre zuteil geworden, die einem Herrn von
der Presse zuteil werden kann – der deutsche Kaiser hat Sie in der Wiener
Hofburg empfangen, er is ein Verehrer Ihrer Muse, ich verrat Ihnen da kein
Geheimnis, man munkelt sogar, daß Sie den (Hofautor) Lauff ausgstochen haben.
Ich benütze die Gelegenheit, Ihnen dazu meine Gratulation auszusprechen. Hörn
S', wie waren die Begrüßungsworte Seiner Majestät, Sie hab'n das ja so schön
beschrieben –
Hans Müller:
»Der
(deutsche) Kaiser kommt mir bis an die Tür entgegen, er streckt mir die Hand
hin, er blickt mich aus seinen großen, strahlenden Augen mit dem gütigsten
Lächeln an und sagt: „Sie haben uns im Kriege eine so schöne Dichtung geschenkt
was dürfen wir im Frieden von Ihnen erwarten?“«
Der Hauptmann: Einen schweinischen
Schwank – hätten S' sagen solln.
Hans Müller: Herr Hauptmann, melde gehorsamst,
»Vor dieser Stimme
schwindet sogleich jede Befangenheit« –
aber
den Mut habe ich doch nicht aufgebracht, Herr Hauptmann!
Der Hauptmann: No ja, 's is a hakliche
Situation. Sagen S' mir jetzt nur, was hat Ihnen denn den stärksten Eindruck am
deutschen Kaiser gmacht?
Hans Müller: Herr Hauptmann melde
gehorsamst – alles!
Der Hauptmann: Und sonst nix?
Hans Müller: Ich bin noch so
erschüttert, daß ich nicht imstande wäre,
»die zaubervolle Macht der
Persönlichkeit, diese ganze selbstverständliche Würde, die Leuchtkraft dieser
Augen, die einen nicht loslassen und wie (als) der Spiegel einer klaren, im
tiefsten Sinne sittlichen Natur – (Von den Augen gleitet der Blick
über Antlitz und Gestalt des Kaisers. Leicht ergraut, doch immer noch im
Gesamteindruck blond, das Haar aus der hohen Stirn zurückgestrichen, tannenschlank in seiner echten Soldatenhaltung,
vortrefflich gekleidet durch die österreichisch-ungarische Felduniform,
straft Kaiser Wilhelm die Sorgenzeit des Krieges Lügen. Er ist von einer Jugend
und inneren Lebendigkeit, die wie ein Geschenk der Natur anmuten.«)
Der Hauptmann: Hörn S' auf! (Hörn S'
auf!) No also wissen S', daß der deutsche Kaiser auf einen Brünner Juden
hereinfallt, das is schließlich also naturgemäß kein Wunder. Aber daß ein
Brünner Jud auf den deutschen Kaiser hereinfallt – das ist unglaublich!
(Eine Ordonnanz kommt und überbringt einen Brief.)
Der Hauptmann: Was is denn scho wieder? (Er liest.) Also da legst
di nieder. Das betrifft Sie, Müller.
(Müller erschrickt.)
Der Hauptmann: Der Herr Generalmajor befiehlt, daß Sie sofort aus
dem Kriegsarchiv zu entlassen sind.
(Müller erbleicht.)
Der Hauptmann: Es ist ein Handschreiben
Seiner Majestät des deutschen Kaisers eingelangt, worin er ersucht, daß man den
Dichter der »Könige« nicht durch Verwendung im k. u. k. Kriegsarchiv
seinem eigenen Schaffen entziehen möge.
(Murren unter den Literaten.)
Der Hauptmann: Stad sein! – Leben
S' wohl, Müller! Aber wissen S', was? (Mit Rührung) »Die drei Falken über dem
Lovcen« – die schreiben S' uns noch fertig! Und wenn Sie dann wieder für
sich arbeiten können, und sich also naturgemäß auf die Friedensproduktion
einstelln – dann wern S' doch manchmal an die Stunden Ihrer Dienstzeit
zurückdenken, dann wern S' sagen können: schön wars doch – und sich
hoffentlich auch weiterhin mit (uns, mit) dem Kriegsarchiv verbunden fühlen.
Hans Müller: Auf Gedeih und Verderb!
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